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■ Kinofetischisten wußten es schon immer: Filme auf dem Bildschirm sind wie ein Van Gogh auf einer Briefmarke. Doch mit dem mangelnden Leinwandeffekt ist es nicht getan: Immer leidenschaftsloser wird geschnippelt, gekürzt, unterbrochenGlei

Kinofetischisten wußten es schon immer: Filme auf dem Bildschirm sind wie ein Van Gogh auf einer Briefmarke. Doch mit dem mangelnden Leinwandeffekt ist es nicht getan:

Immer leidenschaftsloser wird geschnippelt, gekürzt, unterbrochen

Gleich geht es weiter...

Federico Fellini mochte das Fernsehen nicht. „Es ist höchstens ein Verteilerinstrument, in dem man wohl auch Filme senden kann, doch nur, indem man sie beschränkt, demütigt, verformt, auf die Größe von Postkarten reduziert.“ Am meisten ärgerte sich Fellini über die Werbung. Und diese Aversion teilt er mit den meisten Zuschauern: Der Held treibt als Spielball der Wellen sturmumtost im Wasser, die Situation scheint aussichtslos, da schiebt sich endlich eine Insel ins Bild. Die Rettung? Mitnichten, war bloß eine Werbeinsel – Fortsetzung folgt.

Nur höchst selten gelingt die Plazierung der Werbeunterbrechung so harmonisch wie in „Running Man“, einer actionreichen Satire aufs Fernsehen: Als die TV- Show im Film für Werbung unterbrochen wird, brachte RTL, fast schon selbstironisch, gleichfalls seinen Werbeblock. Selbst in Ostdeutschland, wo man der werbetreibenden Wirtschaft zufolge Werbespots lange als zusätzliche Information gern in Kauf nahm, hat die Toleranz mittlerweile ein Ende.

Gerade Spielfilme sind immer wieder die bevorzugten Opfer der Fernsehsender. Während sogenannte „TV-Movies“ inzwischen bereits auf die Werbepause hin inszeniert werden und deshalb aus vielen kurzen Akten mit eigenen dramaturgischen Höhepunkten bestehen, wird der Kinofilm im Fernsehen auf seinen Warencharakter reduziert. Wie an der Wursttheke wird am Material herumgeschnippelt, oft ohne Rücksicht auf Verluste. Denn zur oft willkürlich plazierten Werbeinsel kommt die Kastration: Filme mit einer Kinofreigabe ab 18 Jahren dürfen im Fernsehen erst nach 23 Uhr gezeigt werden.

Da es sich dabei aber oft um attraktive Titel mit einer potentiell hohen Einschaltquote handelt, sind die Privatsender gern zur Verstümmelung bereit, um die Sendezeit vorzuverlegen. Zu diesem Zweck wird ein Film bei der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF), einer Einrichtung der kommerziellen Anstalten, eingereicht. Die FSF stimmt einer Ausstrahlung unter der Bedingung bestimmter Schnittauflagen zu; allzu exzessive Gewaltszenen werden daraufhin entfernt.

Da dieser Eingriff keineswegs von preisgekrönten CutterInnen vorgenommen wird, kann man sich vorstellen, wie das Ergebnis aussieht: Gerade noch hebt der Held sein Schwert in Kopfhöhe, schwupps, da ist der Kampf auch schon entschieden. Ganze Szenen enden im Nichts, herumliegende Leichen pflastern die Wege der Bösewichte; wo sie herkommen, muß man sich selbst zusammenreimen. Vor allem bei Filmen mit Charles Bronson („Ein Mann sieht rot“) sollten Filmfreaks den Fernseher lieber meiden: Oft ist die Handlung durch die Schnitte derart verstümmelt, daß man ihr kaum noch folgen kann.

Doch damit nicht genug. Jahrelang stritten sich Privatsender und Landesmedienanstalten darum, was die Länge eines Films ausmacht. Dem gesunden Menschenverstand stellt sich das Problem nicht: Ein Film beginnt mit dem Vorspann und endet mit dem Nachspann – der Film als Gesamtkunstwerk. Und wer beispielsweise jemals „Delicatessen“ gesehen hat, weiß, wie künstlerisch ein Vorspann gestaltet sein kann.

Pro7 – der Sender mit den längsten Werbeinseln – und Co. schlagen auf die Länge des Films aber noch die Werbung drauf, die zwischendurch gesendet wird; das nennt man das „Bruttoprinzip“. So wird ein Film länger und darf möglicherweise öfter unterbrochen werden. Ist er aber selbst inklusive der Werbung nicht lang genug, braucht man den Zuschauern ja auch den gerade bei Hollywoodfilmen zumeist ausgiebigen Nachspann nicht zuzumuten; denn angeblich fühlt sich das Publikum durch ellenlange Nachspänne aufgefordert, umgehend den Sender zu wechseln. Also weg damit – eine Unart, der sich auch öffentlich- rechtliche Sender mittlerweile befleißigen.

Ob sich Federico Fellinis Antipathie auch auf Sender wie ARD und ZDF bezog, ist nicht überliefert. Da auch sie aber in manchen Gepflogenheiten dem kommerziellen Fernsehen immer ähnlicher werden, darf man dies wohl unterstellen. Im Gegensatz zum Kino, so Fellini, mache das Fernsehen aus dem Zuschauer einen nützlichen Idioten. „Er wird zum Probierer, der immer den Mund voll hat, der aber nichts mehr schmeckt. Die Verdrehung jeglicher ausdrücklicher Erzähllogik hat zur Folge, daß man einen endlosen Zuschauerraum voll Analphabeten schafft, die bereit sind, über alles zu lachen, sich zu erregen, zu applaudieren, was schnell ist, keinen Sinn hat und sich wiederholt.“ Übrigens hinderte seine Antipathie Fellini nicht daran, Werbespots fürs Fernsehen zu produzieren. Tilmann P. Gangloff

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