Ein Giftmüllexport

■ Elfriede Jelineks „Stecken, Stab und Stangl“ im Malersaal und ein Liederabend in der Schauspielhaus-Kantine

Stecken, Stab und Stangl

Mitten hinein in die Endproben von Stecken, Stab und Stangl platzte Elfriede Jelineks geistiger Abschied von Österreich. Die „Demoralisierung und Verwahrlosung der österreichischen Öffentlichkeit aufgrund der Verkommenheit der österreichischen Presse“ veranlaßte die Autorin nach einer lang anhaltenden Phase des Zorns und der Kränkung, das kategorische Aufführungsverbot ihrer Stücke in Österreich zu verkünden. Nicht die Rolle als Fußabtreter für Rechtspopulisten und Vergangenheitsrelativierer wie FPÖ-Chef Haider oder Kronen-Zeitungs-Kolumnisten Staberl war ausschlaggebend für diesen Schritt gewesen, sondern das allgemein „vergiftete öffentliche Klima“. Stecken, Stab und Stangl liest sich dann auch als haßerglühte Abschiedsrede, auch wenn Jelinek ihren späteren Entschluß hier noch vor sich selbst verschlüsselt haben mag.

Aus Anlaß des heimtückischen Rohrbombenattentats auf vier Roma im Februar 1995 montierte sie Ergüsse des gesunden Volksempfindens, Kolumnen besagten Staberls, Zitate von Haider und des Treblinka-Kommandanten Franz Stangl zu einer Fernsehshow zum Thema „Morden und Rechtfertigen“ in einem Metzgerladen. Als zynischer Trost für die „armen Opfer“ tauchen immer wieder Heidegger-Zitate aus seinen Todesreflexi-onen auf. Gedichten von Paul Celan kommt die Rolle zu, die widerwärtigen Figuren das Echo einer anderen Welt vernehmen und wiedergeben zu lassen.

Im Gegensatz zu der Stimmung des Textes – blutgeil, finster, zynisch und anklagend – verwandelt die Regisseurin Thirza Bruncken bei der Uraufführung das Stück in eine Farce, die den beißenden Kontrast zum Gesagten in lockerem Sarkasmus sucht. Statt an der Fleischertheke inszeniert sie das Stück als eine verbale Kissenschlacht in einer riesigen Matratzengruft (Bühne: Jens Kilian), die schon jede Überquerung zu einer Slapstick-Nummer macht, während im Hintergrund die weiße Kachelwand einer Pathologie die Zähne der Wirklichkeit bleckt. Sieben Fünfziger-Jahre-Spießer – die Herren (Michael Wittenborn, Peter Brombacher, Jörg Schröder) in schwarzen Anzügen mit Krawatte oder Seidentuch heißen nach "Staberl" alle Stab, die Damen (Monica Bleibtreu, Marlen Diekhoff, Barbara Nüsse, Anne Weber) mit hochtoupierten Haaren und schwarzen Kostümen alle Margit S. – vertreiben sich in diesem Zwitterraum aus Andachtshalle, Fernsehstudio und Trampolinbox die Zeit mit Häkeln, Tanzen, Gewinnspielen und der plappernden Formulierung eines „Wir“-Gefühls. Die große Giftsuppe aus Verharmlosung, Verdrängung, Vorurteilen und Vernichtungsphantasien, die dieses „Wir“-Gefühl nährt, wird durch die notorische Fröhlichkeit der sieben Geisteszwerge mit der nötigen Ekeligkeit gewürzt.

Ein Problem der Aufführung in Hamburg besteht natürlich darin, daß die ursprüngliche Autorenschaft dieser Ergüsse niemandem erschließbar ist. Das Geflecht aus Anspielungen und politischen Verweisen – insbesondere die direkte Auseinandersetzung mit Staberl und der österreichischen Berichterstattung nach dem Attentat – ist in Deutschland nur dadurch verwendbar, daß die Regisseurin es in den schrecklichen Plauderton des abstrakten Volksempfindens integriert. Damit geht aber gerade das typisch Österreichische, also das, was Elfriede Jelinek zu ihrem Rückzug bewogen hat, verloren.

Auch wenn ein Jelinek-Text in seiner komplexen Anlage nie vordringlich orts- oder personengebunden ist, so bleibt doch bei dieser Rede an die Österreicher das Gefühl eines Giftmüllexportes zurück, den man vielleicht doch noch an den Verursacher zurückschicken sollte. Till Briegleb

Just The Two Of Us

Warum funktioniert in der Schauspielhaus-Kantine etwas, was in jedem dafür ausgelegten Schuppen in der Stadt meist mühsamst danebengeht? Also warum gibt es bei Just The Two Of Us frenetischen Applaus für zwei fleißig singende Frauen mit Combo, die keine 20 Leute ins dafür prädestinierte Birdland locken würden?

Zwei Stunden Lieder von Stevie Wonder, Ricky Lee Jones, Billie Holiday und anderen, gekonnt, aber nicht brillant vorgetragen von Ulrike Grote und Marion Martienzen, begeisterten aber 200 wohlerzogene Kulturbürger Samstag um 23 Uhr.

Dabei wirkte der Nachschlag zum Sekretärinnen-Erfolg im Großen Haus ohne den szenischen Hintergrund bereits nach zwei, drei vorgetragenen Songs viel zu bruchlos und die Auswahl der Liebeslieder genialer Interpreten mehr gewagt als gelungen. Die Interpretation, die Marion Martienzen mit der Aura einer Filialleiterin im Gesundheitsschuhladen vorträgt, mag im Kulturladen stimmig wirken, in der Nachtkantine nicht. Ulrike Grote erinnerte an die junge Georgette Dee – das paßte schon eher.

Lustvoll ist es durchaus, mit einem Getränk und gutfrisierten Tischnachbarn musikalisch unterhalten zu werden. Die Combo aus Frank Wittenbrink (Klavier), Matthias Pogoda (Gittare), Olaf Casimir (Baß) und Helge Zumdiek (Schlagzeug) schlappte dazu den lässigsten Groove.

In Paris geht man dafür in den Jazzclub.

Doch Hamburger Stilsicherheit wird eben gern an den etwas anderen Hausadressen festgemacht. So gelangt Techno in die Kirche, Gottesdienst in den Pornoladen, Glühwein auf die Alster und Kunst in die Geisterbahn. Und das funktioniert. Die Sicherheit des unvertrauten Ortes läßt jede Überraschung gutheißen. Wenn's der Wertschöpfung und dem gepflegten Zusammensein dient, applaudiert man dann gerne am falschen Ort.

Elsa Freese