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Die Kraft des Trennschleifers

■ ... und andere körperbetonte Experimente – eine neue Reihe der Werkstattgalerie: Druckgrafiken von Bildhauern

Spätestens, seit ein paar Fluxus-Künstler auf die Idee kamen, nackte Frauen mit Farbe einzupinseln und sie dann zärtlich auf große Papierbahnen zu drücken, wissen wir, daß die Druckgrafik eine ziemlich starke körperliche Komponente besitzt. Der direkte Körperkontakt zwischen Blatt und Gegenstand hat Künstler immer wieder zu herrlichen Experimenten inspiriert: Stempeldruck, Frottage und nicht zuletzt das Abklatschverfahren, wie man's aus der Grundschule erinnert, gehören zu den einfachsten, aber oft auch überraschendsten Methoden der Bildherstellung. Das Ergebnis liest sich oft wie eine spannende Spurensuche, und viele der Blätter besitzen den Reiz fossiler Abdrücke. Kein Wunder also, wenn gerade Bildhauer sich zu dieser Körperkunst hingezogen fühlen. Ihnen widmet die „Werkstattgalerie“, Bremens beste Experimentiertbude für Druckgrafik, jetzt eine neue Ausstellungsreihe.

Fünf Künstler und Künstlerinnen, die üblicherweise mit eher raumgreifender Kunst in Erscheinung treten, zeigen hier seit dem Wochenende, was sie mit dem grafischen Medium so alles anstellen. Denken und drucken Bildhauer wirklich anders als z.B. hauptamtliche Druckgrafiker? – „Das ist ja, was wir mit dieser Reihe erst mal herausfinden wollen“, sagt Mit-Initiatorin Marion Bösen von der Werkstattgalerie. Was man schon bei dieser ersten von drei geplanten Ausstellungen herausfindet, ist natürlich, daß es da keine einfache Antwort gibt: Von braven Aktstudien bis zu drastischen Verfahren, den Druckstock z.B. mit einem Trennschleifer zu beharken, reichen die unterschiedlichen Auffassungen der fünf Gäste.

Letzteres Verfahren benutzt der Bremer Gunther Gerlach. Mit seiner Flex gräbt er tiefe Narben in den Druckstock – nicht etwa die üblichen, teuren Kupferplatten, sondern Eisenplatten vom Schrott. Ein Verfahren, das sich freilich nicht völlig beherrschen läßt: Die Motorkraft des Trennschleifers und die Körperkraft des Künstlers bestimmen ungefähr zu gleichen Teilen, wohin die Reise geht und welche Linien entstehen. Dieses spontane Spiel zwischen Plan, Intuition und Zufall überträgt sich auf das gedruckte Blatt: Gerlachs Grafiken wirken wild, aufgewühlt und stets überraschend.

Womit der Zweck der Übung erfüllt wäre. Denn für Gerlach ist die Grafik vor allem ein Testfeld, auf dem er Materialwirkungen erprobt. Die Blätter sind dennoch mehr als bloße Studien: „Ich schöpfe eher aus dem Formenschatz der Grafik für meine bildhauerische Arbeit“.

So befaßt sich Gerlach mit den beiden Medien parallel, und beide können für sich stehen. Etwas anders sieht das bei der in Hamburg lebenden Sabine Kramer aus. Ihre großformatigen Stempeldrucke gehen z.T. auf vorher entstandene Plastiken zurück. Kubische Körper, Kisten aus Metall, spielen in ihrem Werk eine Hauptrolle. Deren strenge Form hat sie nun direkt auf Papier übertragen. Rechteck auf schwarzes Rechteck reiht sich auf ihren langen Papierbahnen exakt aneinander. Das Ergebnis geht allerdings weit über einen bloßen Abzug eines existierenden Objekts hinaus. Durch die Übertragung in die Fläche gelingt es Kramer, die Dinge mit einem Geheimnis zu umgeben. Was da eigentlich abgedruckt wurde, ist kaum noch zu erraten. Stattdessen wird der Raum mit vielen, spannenden Assoziationen angefüllt: In Kramers Fossilien treffen sich anatomische Darstellungen unbekannter Riesentiere mit den Bauzeichnungen eines technizistisch gestylten Wohnparks.

Thomas Wolff

„Grafischer Gegenstand“, Arbeiten von Julia Bornefeld, Gunther Gerlach, Sabine Kramer, Eberhard Szejstecki und Elisabeth Wischeropp; bis 3.5. in der Werkstattgalerie, Neustadtswall 61 a

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