Ein Leben nach dem Laufsteg

■ Gesichter der Großstadt: Dagmar Puls war die Claudia Schiffer der DDR. Jetzt leitet sie Berlins einzige Schule für Mannequins: "Ausstrahlung kommt von innen."

Im Frühling 1987 steht Dagmar Puls mit schwarzem Lidstrich und knallrotem Kleid auf dem Alexanderplatz. Direkt unter der Weltzeituhr macht sie ihren Job. Es regnet, und die West-Fotografen vom Szenemagazin Wiener haben sich etwas Besonderes für das Ost- Mannequin ausgedacht. Also lächelt sie tapfer, die Fahne der DDR als Kopftuch drapiert, unter Hammer und Zirkel hervor.

Der Modegag kommt bei der Volkspolizei nicht gut an. „Nehmen Sie sofort das Staatssymbol der DDR ab!“ schreit einer der Staatsdiener. „Die geht ab in den Knast“, kommentiert ein Passant. Und Dagmar Puls denkt nur noch: „Okay, das ist dein letzter Tag in diesem Land.“

Es endete dann doch nicht mit der Ausbürgerung. Nach langen Verhören ließ die Stasi das Star- Model der DDR wieder laufen.

Das Schicksal des Ostberliner Covergirls war selbst den westdeutschen Medien Sendezeit wert. „Tagesthemen“ und „heute journal“ konkurrierten mit Berichten über das konterrevolutionäre Fotomodell. Der Wiener druckte die Story genüßlich ab. Dagmar Puls wurde danach monatelang von der Stasi observiert.

Heute kann sie über die Aktion nur lachen. Wenn sie von der Vergangenheit spricht, hört es sich nach geschlossenem Kapitel an. Denn nach der Wende machte sie Schluß mit ihrer Karriere als Model und wechselte hinter den Laufsteg. Um ihre eigenen Ideen im Modelbetrieb durchzusetzen, hat sie vor vier Jahren ein eigenes Mannequinstudio gegründet. Es ist das einzige seiner Art in Berlin. Jeweils zwei Jahre lang bildet sie Mädchen und Jungen in der Modelschule aus. Yoga und Ernährung stehen auf dem Stundenplan, ebenso Tanzen und der Umgang mit Naturkosmetik und Schminke.

Von der Diva-Mähne von damals hat sie zum Stoppelschnitt gewechselt. Die Claudia Schiffer des real untergegangenen Sozialismus greift in ihrem Studio an der Oranienburger Straße in die Bilderkiste. Auf den alten Modefotos zeigt sich ein anderer Mensch. Perfekt gestylt, betörend schön, ein bißchen Domina im Blick. Anfang 20 war sie damals, und die Ware Puls verkaufte sich gut. Für die Modezeitschrift Sibylle machte sie Aufnahmen. Auf den Modemessen in Leipzig, Prag und Berlin-Ost stolzierte sie als Star unter den schönen Gesichtern über den Laufsteg. Ein Leben als wahrgewordenes Model-Märchen.

Mit 18 war sie aus der Neubrandenburger Provinz nach Berlin gekommen. Es war eine kleine Flucht. Kurz vor dem Abitur hatte ihr der Direktor nahegelegt zu gehen. Das „Fräulein Puls“ war eine unangepaßte Tramperin. Im Fach Staatsbürgerkunde hatte sie die falschen Fragen in den falschen Kleidern gestellt. Verbissen kämpft sie sich in der Großstadt durch die Ausbildung als Gärtnerin und holt ihr Abitur nach. Macht nebenbei Pantomime und nimmt Schauspielunterricht. Im Sommer 1982 wird die 20jährige standesgemäß in einem Café von der Chefin des Modemoguls Exquisit angesprochen. Ihr unschuldiges Gesicht mit den großen Rehaugen kommt an. „So natürlich, so schön, so lieb!“ lobt ein Fotograf. „Viel mit mir hatte das nicht zu tun“, sagt die Vielgepriesene heute nüchtern.

Vom „Schau hierhin Dagmar, dreh dich, bück dich, lächle, nicht zuviel!“ hat sie bald genug. Nach dem Mauerfall 1989 gibt sie ihren Job als graziler Kleiderständer auf. „Ich wollte endlich wieder selbst bestimmen, was ich mache“, sagt sie. Mit ihrem Baby auf dem Arm bringt sie in der Nachwendezeit die erste Choreographie für eine Modegala auf die Bühne. „Eine gute Modenschau hat immer auch etwas mit Kunst und Intelligenz zu tun, das wollte ich zeigen.“

Dagmar Puls erzählt mit ihren Schauen kleine Geschichten. Sie will weg von den handelsüblichen Beauty-Idealen der Hochglanzzeitschriften. In den Gesichtern und Körpern ihrer Mannequins sucht sie mehr als porentief reine Haut und straffe Schenkel. Menschen sind schön, sagt das Exmodel, wenn sie durch ihre Energie und ihre innere Ruhe etwas ausstrahlen. „Wenn du innerlich leer bist, kannst du auch nichts geben.“

Die wenigsten Leute begreifen, klagt Puls, daß gute Models nicht einfach nur schön sind. „Dein Körper ist dein Instrument“, erklärt sie. „Wenn du ihm vertraust und ihn richtig einsetzen kannst, bist du schön aus dir heraus.“

Mit ihrem Konzept hat sie Erfolg. Ihre Models sind gut gebucht und ihre Modenschauen kommen an. Sehnsucht nach dem Laufsteg hat sie keine. „Das ist nicht mehr mein Leben.“ Tanja Stidinger