Grüße aus dem Abgrund

■ Lebensfroh und zu Tode betrübt: Spanische Fotografie der 90er Jahre im Instituto Cervantes

„Es war, als ob wir förmlich explodierten – auf eine sehr fröhliche Weise.“ Es ist einige Jahre her, daß der spanische Starfotograf Javier Vallonrat den Aufbruch seiner Landsleute so begeistert beschrieb. Das laute, bunte Leben, das nach dem Ende der Franco-Diktatur auch die Fotoszene des Landes durchflutete, läßt sich noch heute in den Bildern jener Tage nachspüren. Grelle Kontraste, schrille Farben und wilde Labor-Experimente kennzeichnen die Fotografien der „Movida“ der 80er Jahre. Eine Lebens- und Bilderlust, die allerdings nicht nachgelassen hat: In einer Wanderausstellung schickt das Spanische Kulturinstitut derzeit eine Überblicksschau über die Fotografie der 90er Jahre auf Reisen – in der sich die ungebrochene Qualität der spanischen Lichtbildner beweist. Das Bremer Instituto Cervantes ist neben München die einzige Station der Ausstellung in Deuschland.

So wird im Titel zwar die „Fotografie der 90er Jahre“ angekündigt – einen wirklichen Bruch mit der „alten“ Kunst der Movida aber behaupten die spanischen Kuratoren nicht. Denn tatsächlich verweist die Ausstellung vor allem auf die kontinuierliche – und äußerst produktive – Entwicklung unter den Fotokünstlern. Unter den 30 Fotografen und Fotografinnen, die für das repräsentative Unternehmen ausgewählt wurden, finden sich denn auch viele bekannte Namen wieder. Und die zeigen: An der Qualität z.B. der schwerblütigen, melancholischen Reportagefotos einer Christina García-Rodero hat sich nichts geändert – aber: Es gibt eine auch eine neue Generation, die bei den Experimenten der älteren genau hingesehen hat – und deren Errungenschaften jetzt mit viel Gefühl einzusetzen vermag.

Was mußte das Fotomaterial schon alles über sich ergehen lassen: Joan Fontcuberta liebte es, mit seinen Bartstoppeln auf dem weichen Fotopapier herumzukratzen – genau: auf dem Motiv eines Kaktus'; Kollege Iñigo Royo spielte sogar mit dem Feuer und sengelte seine düsteren Landschaftsbilder formschön an. Ganz so knallig setzen ihre Nachfahren solche Effekte nun nicht mehr ein. Dafür aber sehr zielsicher. Um seine Küstenaufnahmen dezent zu verfremden, tauchte sie Juan Manuel Castro Prieto in die warmen Rotbrauntöne eines Bromöldrucks – und setzte noch ein paar Chemikalien zu, damit das Meer auch richtig schäumt. Nun irrlichtert sein Himmel über der Bucht von Almeria in den schönsten Höllenfarben.

Denn auch das haben die Kollegen der 90er Jahre von ihren Vorfahren geerbt: diese Vorliebe, die Schönheit der heimatlichen Natur zu feiern und gleichzeitig in tiefe Schwermut zu versinken. Und umgekehrt: die Zeichen und Symbole des spirituellen Lebens auf Alltagsszenen zu projizieren. An allen Ecken drängen Madonnen, Putten oder gar der Erlöser persönlich ins Bildgeschehen. Eine ganze Serie namens „Cruces“ zeigt Atín Aya: Kruzifixe, die er in Geländern, Fenstern und Lattengerüsten entdeckt. In harten Schwarz-Weiß-Kontrasten abgezogen, werden die beiläufigen Alltagsbilder wie magisch aufgeladen.

In der Vergangenheit wirkten solche Stilisierungen bisweilen schon schwer kitschig und überzogen – das „typisch spanisch“ lag dem Betrachter auf der Zunge. Doch in den 90ern sind auch die Spanier etwas zurückhaltender geworden. Zwar gibt es immer noch grelle Kunststücke wie die „Drei Grazien“ von Paloma Navares: Hier finden sich die antiken Schönheiten als Pin-Ups auf ordinären Werkstattlampen wieder. Die neue, dezente Ironie einiger Künstler spricht hingegen aus einem surrealen Landschaftsbild von Manuel Falces. Das Polaroid zeigt die Wüste in ihrer unverfälschter Schönheit – und den Christuskopf, wie er inmitten der Ödnis erscheint. Seinen Montage-Trick legt Falces mit aufreizender Plumpheit bloß: Vier Klebestreifen zeugen davon, wie der Heiland mit weltlichen Mitteln in die feierliche Bildvision eingefügt wurde. Thomas Wolff

Bis 3. Mai, Instituto Cervantes, Schwachhauser Ring 124, Mo-Fr 10-15 Uhr, Eintritt frei