■ Kacken als Willenskundgebung
: Narren, Gäule, Sensationen

Für immerhin rund 100 Mark konnte man in Stuttgart vergangenes Wochenende Zeuge einer Weltsensation sein. The Royal Horse Gala, die berühmte Pferdeshow, machte Station in der Schleyerhalle, und Sensationen in einer ansonsten eher tristen Welt voller Arbeitslosigkeit und Katastrophen rechtfertigen anscheinend einen solch stolzen Preis. Dieser garantierte denn auch, daß die wohlhabenden Pferdenarren mehr oder weniger unter sich waren und keine störenden Elemente den Gesamteindruck verfälschen konnten.

Da saßen die gutsituierten Narren also rund ums Dressurviereck und warteten auf die angekündigten 35 edlen Rösser, die sich aus den Rassen der Lipizzaner, Andalusier, Lusitanos und Friesen zusammensetzten. Zunächst betrat allerdings ein Mann namens Paul Meyer den Sägemehlboden. Herr Meyer sollte und wollte als Conférencier durchs Programm führen und den Zuschauern die barocken Pferderassen nebst ihren menschlichen Begleitern näherbringen. Doch entweder hatte Herr Meyer sein Lampenfieber mit einer Überdosis Beruhigungsmitteln bekämpft, oder er kann es einfach nicht besser – jedenfalls wirkte er wie Karl-Heinz Köpcke an einem seiner schwärzesten Tage. Nach Herrn Meyers langatmiger Einführung betrat als erstes Pferd die sogenannte schwarze Perle Frieslands das Viereck. Dem Roß folgte – die lange Leine fest in der Hand – sein Ausbilder Cor de Jong. Man muß sich das in etwa so vorstellen: Vorneweg also der wuchtige, dunkle Gaul mit weißen Socken, einem weißen Sattel, der stark an eine Art Schürze erinnert, sowie einer Mähne, in die weiße, wie Lockenwickler aussehende Bänder geflochten sind. Dahinter schreitet ein dürres Männlein in grünem Anzug, weißem Hemd und grauem Hut, der den Friesen an einer wiederum weißen Leine führt. Das Männlein hält sich dicht hinter dem Pferd und tätschelt ihm immer wieder – mal links, mal rechts – den Hintern, damit es auch all die Capriolen vollführt, die das Männlein und das Publikum sehen wollen. Angeblich handelte es sich hierbei um eine einmalige Vorstellung, weshalb die im Saale anwesenden Pferdekenner die beiden, also die hüpfende schwarze Perle und den Der-mit-der-großen-hüpfenden-schwarzen-Perle-tanzt, mit stürmischem, lang anhaltendem Beifall belohnten.

Anschließend war wieder der Herr Meyer an der Reihe, der die nächste Sensation conferieren durfte. In diesem Rhythmus ging es dann bis zum bitteren Ende weiter. Zu den Klängen von Pavarotti, barocker Musik oder Synthi-Pop zeigten die Menschen mit ihren Tieren, zu welchen Verrenkungen letztere in der Lage sind, ohne daß sie dafür von ersteren geschlagen werden mußten. Diese tierischen Verrenkungen werden übrigens mit besonders wohlklingenden Bezeichnungen wie Levade, Courbette, Pas de deux oder eben Capriole versehen.

Für einen einigermaßen gebildeten und nicht der allgemeinen Raserei der anwesenden Pferdenarren verfallenen Zuschauer tat sich allerdings ein Widerspruch auf, den es zu klären galt. Laut Lexikon bedeutet Dressurreiten den völligen Gehorsam des Tieres gegenüber dem Menschen. Nun hatte Herr Meyer eingangs der Veranstaltung aber den eigenen Charakter und Willen der anwesenden Vierbiener betont. Die Summe der Turnübungen schien gegen die Ansicht des Herrn Meyer zu sprechen. Doch als eine schwarze Perle während der Vorführung einem dringenden Bedürfnis nachging, war alles klar: Auch ein Edelroß kackt, wann und wo es will. Das muß dann wohl die Charakterstärke sein. Michael Bolten