Puck auf Abwegen

■ Mit Pizza-Party und plötzlicher Orientierungslosigkeit versuchen die Eishockey-Kids dem rüden Eishockeyalltag zu entkommen

Berlin (taz) – Wenn Josh White das Eis betritt, wird es unruhig auf den Rängen. Videokameras surren, Blitzlichter zucken. Lauthals hatten die Zuschauer in der Berliner Eissporthalle die Nummer 99 gefordert, und endlich hatte der Trainer ihrem Drängen nachgegeben. Ein zugegeben erhebendes Gefühl für einen jungen Sportler, doch für Josh noch lange kein Grund, den Helm zu hoch zu tragen. Viel zu sehr ist er damit beschäftigt, sorgsam eine Kufe vor die andere zu setzen, ohne dabei über den riesigen, hölzernen Schläger zu purzeln oder mit seinen Mitspielern zu kollidieren. Josh ist gerade mal acht Jahre alt und spielt Eishockey bei den Slough Hurricanes, einem Verein aus einem kleinen Nest wenige Kilometer westlich von London. Daß der kleine Kufenflitzer schon in so jungen Jahren zum Publikumsliebling avancierte, verdankt er hauptsächlich dem Dickkopf eines eishockeyverrückten Kanadiers.

Vor über acht Jahren wurde der Nachwuchstrainer des BSC Preussen Berlin, Jim Setters, von dem Wunsch infiziert, ein Eishockey- Weltturnier für Kinder zu veranstalten. Jugendliche aller Länder kurvten, friedlich auf dem Berliner Eis vereint, durch die kühnen Träume des Kanadiers. „Tolle Idee, nicht finanzierbar“, schallte ihm der Spott von allen Seiten entgegen. Und wie so oft drohte ein hehres sportliches Ziel an Geldproblemen zu scheitern. Doch so schnell ließ sich Setters seiner Träume nicht berauben, redete, rechnete, plante und nervte so lange, bis er genügend Unterstützer um sich geschart und die nötigen Geldquellen aufgetan hatte. 1988 veranstaltete der BSC Preussen das 1. Welt-Eishockey-Turnier für 12- bis 13jährige. Jim Setters ist inzwischen Nachwuchstrainer beim Deutschen Eishockeybund. In Berlin wird sein Traum gerade zum fünften Mal verwirklicht.

Vereinsmannschaften aus Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden, der Schweiz, den USA, Weißrußland und der Tschechischen Republik sind dieses Jahr nach Berlin gereist, um gemeinsam um den Fair-play-Pokal zu kurven. Denn nach dem Willen des Begründers ist es auch heute noch nebensächlich, wie oft der Puck im Netz zappelt. Sport sei nur ein Spiel, bekundete Setters vor Zeiten. „Der Wille, besser zu werden, muß aus dem Innern des Kindes selbst kommen, nicht durch Druck von außen.“ Und so werden in Berlin nicht Torjäger und Topscorer geehrt, sondern die „wertvollsten“ Spieler, die ihre Qualitäten nicht nur um des Erfolges willen einsetzen. Sozialer Charakter ist gefragt. Eine recht exotische Veranstaltung im sonst eher rüden Eishockeysport.

Auch auf den Rängen hat sich der Gedanke des Fair play breitgemacht. „Good shot, Mike. Good pass, Ryan“, bekunden stolze Väter ihren Boston Pics. Doch die mitgereiste amerikanische Fangemeinde hebt auch artig zum Applaus an, wenn der Gegner aus Tschechien die Pics wie Slalomstangen aussehen läßt. Schließlich geht es ja vorrangig um das gesellschaftliche Ereignis. Da werden die kurzen Glücksmomente mit der Videokamera festgehalten, wohlerzogen spuckt der Nachwuchs fürs Erinnerungsphoto den Mundschutz aus und lächelt mit der ganzen Breite seiner Zahnspange in die Linse. Eine große Zeit hätten seine Jungs in Berlin, bestätigt Pics-Trainer Peter Muse und drängt zur Ausgangstür. Denn zwischen Eishockey und Sightseeing steht noch eine Pizza-Party bei Preussen-Star Tom O'Regan auf dem Programm. Vergnügen pur nach amerikanischem Vorbild.

Morgan Svensson, seit drei Jahren neuer Vorkurver der Preussen- Jugend, benutzt weniger oberflächliche Floskeln, während er über den Sinn der Veranstaltung sinniert. Nicht jeder, der mit 12 oder 13 Jahren ganz passabel Eishockey spiele, werde den großen Sprung in eine Spitzenmannschaft schaffen. „Und so haben sie dann wenigstens ein großes Turnier gespielt“, erklärt Morgan Svensson. „Für die Jungs ist das wie eine Weltmeisterschaft.“ Ach ja, falls es doch jemanden interessiert: Am besten Eishockey spielten die tschechischen Jugendlichen aus Poldi Kladno. Doch darum geht es ja bekanntlich nicht.

Und für alle, die es immer noch nicht kapiert haben: Bereits nach wenigen Minuten lagen die Exoten aus Saudi-Arabien vor zwei Jahren 0:19 gegen die kanadische Mannschaft zurück. Doch plötzlich liefen die Kanadier wie von Geisterhand gesteuert links und rechts gegen die Bande, stolperten orientierungslos über Kufen und Schläger. So gelang den Arabern doch noch der vielumjubelte Anschlußtreffer, am Ende hielten sie den Fair-play- Pokal in den Händen. Gegen Finnland hat auch Josh White ein Tor zum 1:11 geschossen. Wer in diesem Jahr den Pokal mit nach Hause nehmen wird, entscheidet sich morgen. Nina Klöckner