Kunst und Geld
: Im Dienst der Heiligung

■ Party unter Richters Bildern: Steht die Kunsthalle Dresden vor dem Aus?

Die erste Gerhard-Richter- Ausstellung in seiner Geburts- und Studienstadt Dresden war kurz. Nachdem „Editionen 1965–1995“ vorher in Berlin erfolgreich gezeigt worden war, mußte sie hier bereits eine Woche nach ihrer Eröffnung wieder geschlossen werden. Die Leihgeber erwirkten gemeinsam mit dem Künstler eine sofortige Schließung. Als freier Kurator hatte Hubertus Butin gegen den ausdrücklichen Willen des Kunstvereins die Leihgeber darüber informiert, daß, wie er kurz vor der Eröffnung erfuhr, fünf kunstfremde, mehrtägige Veranstaltungen wie Feste, Tagungen und Bankette mit bis zu 360 Personen in den Ausstellungsräumen stattfinden sollten. Während der ersten Veranstaltung wurden heiß dampfende Suppenkessel unter den Exponaten aufgebaut und empfindliche Arbeiten ohne Zustimmung des Kurators abgehängt, obwohl Butin vorher schriftlich das Gegenteil versichert wurde; eine Arbeit wurde beim Abbau durch fachfremdes Personal schwer beschädigt. Aus konservatorischen Gründen kündigten deshalb die Leihgeber ihre Leihverträge fristlos.

Der Hauptveranstalter, der Neue Sächsische Kulturverein, gastierte mit der Ausstellung in den Räumen der Kunsthalle Dresden. Diese stellt dort den einzigen Ausstellungsraum für zeitgenössische Kunst dar, seitdem Großsammler Rolf Hoffmann mit seiner von Frank Stella konzipierten Kunsthalle vergrault wurde. Die Kunsthalle ist nicht, wie der Name vermuten läßt, eine öffentliche Kunstinstitution, sondern räumlich wie auch organisatorisch mit dem Seidler art'otel verflochten, das wiederum mit 700 (!) Penck- Arbeiten bestückt ist. Das Gebäude befindet sich im Besitz der Berliner Bauunternehmer- und Investorengruppe Gädeke& Landsberg, die bereits zwei art'otels in Berlin mit Arbeiten von Wolf Vostell und in Potsdam mit Werken Katharina Sieverdings schmücken ließ.

Das Konzept dieser Hotels hat nichts mit dem berühmten Künstlerhotel Chelsea in New York gemein. Dort konnten KünstlerInnen ihre Hotelrechnung mit Kunst begleichen. Ganz im Gegensatz dazu werden die art'otels mit Arbeiten von bekannten KünstlerInnen dekoriert, weshalb hier mit einer Preissteigerung mittels Imagetransfer gerechnet wird, was nicht der Kunst, sondern nur dem Unternehmen nützt.

Wie man auch immer zu einer solchen Form der Dekoration stehen mag, es handelt sich um eine reine Marketingrhetorik, wenn vom Hotelmanagement und dem Kunstverein behauptet wird, daß die Veranstaltungen in der Kunsthalle im Sinne der Kunst wären. Tatsächlich wurde die Kunsthalle jeweils mehrere Tage für politische und wirtschaftliche Veranstaltungen geschlossen – das ist kommerzielle Nutzung unter Ausschluß der Öffentlichkeit.

Hubertus Butin, der auch der Verfasser des Richter-Werkverzeichnisses der Editionen ist, wurde in der Presseerklärung des Kunstvereins in systematischer Verdrehung der Tatsachen eine „puristisch-elitäre Haltung“ unterstellt, die „weder dem Künstler (...) noch der Sache des Kunstsponsorings einen guten Dienst erwiesen“ habe. Es handelt sich, wenn nicht um böswillige Unterstellungen, so doch um ein großes Mißverständnis. Offensichtlich hat die Kunsthalle ihre Befugnisse soweit überschritten, daß gar nicht mehr von einer Kunstausstellung gesprochen werden kann: Worin besteht der Unterschied zwischen dekorierten Räumen wie im art'otel, in Arztpraxen oder Bürogebäuden und einer Kunstausstellung, wenn nicht darin, daß sie die Ausstellungsbedingungen der präsentierten Kunst unterordnet?

Es geht also nicht nur darum, daß die Kunst durch wirtschaftliche Interessen in ihrer Funktions verändert wird: Unter partiellem Ausschluß der Öffentlichkeit versieht sie den Dienst der Heiligung rein kommerziell genutzter Hallen. Daß der Kunst hier nur die Aufgabe einer schicken Kapitalmasse zukommt, läßt sich auch der Äußerung des Kunstvereins entnehmen, daß ja schließlich Versicherungsschutz bestanden habe und die ganze Aufregung deshalb gegenstandslos sei. Davon abgesehen, daß es selbstverständlich im Interesse eines jeden Leihgebers ist, seine Kunstwerke unbeschädigt zurückzuerhalten, wurde der Versicherungsschutz nach Bekanntgabe der Risikosituation von seiten der Versicherung gekündigt.

Bezeichnenderweise haben nach Veröffentlichung der organisatorischen Verwicklungen zwischen der Kunsthalle, dem Neuen Sächsischen Kunstverein, dem art'otel und dem Berliner Investor Gädeke sowie der Kunststiftung des Freistaates Sachsen mehrere Kunstinstitutionen ihre geplanten Projekte mit der Kunsthalle abgesagt. Daran, daß es nach diesem Skandal in Dresden um den Erhalt einer Ausstellungsmöglichkeit für zeitgenössische Kunst gehen muß, besteht kein Zweifel. Es kommt darauf an, wie ernst Künstler und Kuratoren die gegenwärtige Problemlage nehmen und künftig das Verhältnis zwischen Geldgebern und Kunst selbst gestalten. Kampflose Aufgabe wäre für Butin in Dresden bequemer gewesen; die Schließung aus künstlerischer und kuratorischer Sicht war jedoch aus Prinzip notwendig. Stefan Römer