Gemütliche Erscheinung mit Charakter

■ Vom unartigen, verzogenen „Nero“ zum Meisterdetektiv Hercule Poirot und distinguierten Reisebegleiter: Heute feiert Peter Ustinov seinen 75. Geburtstag

Es muß an den großen, kindlichen Augen in dem feisten Gesicht mit dem Doppelkinn liegen, daß man Peter Ustinov nicht einmal dann böse sein kann, wenn er so abgefeimte Schurken wie den Kaiser Nero in Mervyn Le Roys „Quo vadis?“ (1951) spielt. So hat ihn wohl ein Großteil seines Publikums in Erinnerung: lorbeerumkränzt und mit der Lyra in der Hand vor dem Hintergrund des brennenden Rom ein Loblied auf das Feuer singend. Doch wenn sein kaiserlicher Kopf aus dem riesigen Architekturmodell des „neuen“ Rom herausragt wie aus einem Superspielzeug, wirkt der wahnsinnige Herrscher eher wie ein unartiges, verzogenes Kind. In seinen besten Rollen hat er sich stets dieser kindlichen Ausstrahlung bedient: beispielsweise als Prince of Wales, der in Curtis Bernhardts „Beau Brummell“ (1952) die Nüsse mit der bloßen Hand knackt und sich über eine Tabaksdose freut, die beim Öffnen „He's a jolly good fellow“ spielt. Ustinovs Thronfolger ist schwächlich, fett und ungeduldig, so daß Stewart Granger, der als Beau Brummell den guten Geschmack seiner Zeit repräsentiert, am Ende einsehen muß: „Es ist mir nicht gelungen, aus dem Prinzen einen König zu machen.“

Zu Ustinovs etwas gemütlichem Erscheinungsbild trug auch sein rundlicher Körperbau nicht unerheblich bei. Er scheute sich nie, die Leibesfülle zum Thema zu machen und seinen nackten Oberkörper auch ins Bild zu rücken: In „Beau Brummell“ läßt er sich Blutegel ansetzen, die das Fett reduzieren sollen, und in Kubricks „Spartacus“ (1960) sieht man ihn gemeinsam mit Charles Laughton in den römischen Thermen schwitzen.

Beklagt hat sich Ustinov vor allem über die Typisierung in amerikanischen Filmen: „Ich spielte entweder Kaiser, Kriminelle, Sklaven oder Sträflinge.“ Konsequent betätigte sich der multilinguale Ustinov in den fünfziger Jahren in Filmen aus aller Welt: zum Beispiel in Frankreich („Les Espions“ von Clouzot) und Italien („Il Girovaghi“ von Fregonese). Mit Max Ophüls arbeitete er in Deutschland an einer seiner anspruchsvollsten Rollen: In „Lola Montez“ präsentiert er als Stallmeister die berühmte Kurtisane in einem Zirkus.

Die mangelnde Befähigung zum Heldentypus ließ ihn in den sechziger und siebziger Jahren oft zu sehr in die Sparte des Charakterdarstellers mit humoristischem Einschlag rutschen – wobei er mitunter auch relativ unbedeutenden Produktionen Glanz verlieh. Zuletzt hat man ihn im Kino vor allem als Agatha Christies selbstgefälligen Privatdetektiv Hercule Poirot zu sehen bekommen. „Ich möchte zwar nicht den Rest meines Lebens mit dieser Rolle verbringen, aber ich würde es auch nicht gerne sehen, wenn er von jemand anderem gespielt würde“, bemerkte er.

Auch an der Filmregie hat sich Ustinov mehrfach versucht, ohne jedoch große kommerzielle oder künstlerische Erfolge zu verbuchen. Zufrieden war er nur mit seiner Verfilmung des Herman-Melville-Romans „Billy Budd“, einer britischen Produktion, die gegen Ende des 18. Jahrhunderts vor dem Hintergrund der großen Flottenmeuterei spielt. In einem Interview mit Gideon Bachmann erläuterte Ustinov seine Prioritäten im Umgang mit den Darstellern: „Die Grundregel beim Regieführen ist, jeden Schauspieler zu verstehen und das Beste aus ihm oder ihr herauszuholen, ohne zu drangsalieren oder zu dominieren.“ Das zunehmende Interesse an der Fotografie seiner Filme führte zu Ustinovs Entscheidung, „Billy Budd“ in Schwarzweiß zu drehen: „Farbe hätte alles zu sauber erscheinen lassen, während Schwarzweiß ein besseres Gefühl für splitterndes Holz und die Takelage sowie von Meer und Himmel vermittelt. Ich interessiere mich sehr für diese Epoche der Geschichte und wollte die Story wie eine Art Dokumentarfilm behandeln.“

Seine Erfahrungen als Regisseur in Hollywood faßte er dagegen folgendermaßen zusammen: „Eines Tages bekam ich einen Anruf von MGM: ,Sie haben da ein Bordell in ihrem Film, könnten Sie daraus vielleicht ein Bordell für die ganze Familie machen?‘“

Man täte dem Multitalent Ustinov unrecht, wenn man nicht auch seine vielfältigen Aktivitäten neben der Filmkarriere erwähnen würde: Der ausgebildete Bühnenschauspieler spielte in vielen, teils selbst verfaßten Theaterstücken, betätigte sich als Opernregisseur, schrieb amüsante Memoiren und war als Moderator von Reiseberichten und politischen Gesprächen im Fernsehen zu sehen. Den Theatermann konnte er auch bei der Filmregie nicht verleugnen: Kein anderer Regisseur hätte Robert Ryan in „Billy Budd“ wohl eine solche Regieanweisung geben können: „Spielen Sie diese Szene wie den dritten Akt von Don Carlos.“ Lars Penning