Der längste Zeitungsstreik der US-Geschichte

■ Großverleger versuchen die Gewerkschaften bei „Detroit Free Press“ und „Detroit News“ in die Knie zu zwingen. Die Auflage ist schon um ein Viertel gesackt

Molly Abraham, einst Restaurantkritikerin, kellnert. Emilia Askari, preisgekrönte Umweltjournalistin, jagt Feierabendterroristen. Einige Kollegen verkaufen Computer. JournalistInnen, TechnikerInnen und der Vertrieb der Detroit Free Press sind seit 273 Tagen im Streik. 273 Tage mit Unterstützung von Bruce Springsteen, Detroits Kardinal Adam Maida und Gewerkschaftern aus den ganzen USA. Aber auch 273 Tage ohne Einkommen. Die Gewerkschaft zahlt zwar 150 Dollar die Woche und die Krankenversicherung – für Streikposten. Für die anderen gibt es Flugblätter mit einer Liste von Secondhand-Läden.

Damals, im Juli 1995, waren 2.500 der 3.300 MitarbeiterInnen der beiden Detroiter Zeitungen Free Press und News in den Ausstand getreten, um ihre Jobs und das Rückgrat ihrer Gewerkschaften zu schützen. Die Verlage Gannett (Detroit News) und Knight- Ridder (Detroit Free Press) wollten die Arbeit ganzer Abteilungen an gewerkschaftsfreie Subunternehmer vergeben und keine Gewerkschaftsbeiträge mehr eintreiben. Die Beschäftigten sollten nicht mehr den Arzt ihres Vertrauens aufsuchen dürfen, und insgesamt sollte die Belegschaft trotz steigender Gewinne bis 1998 um 150 Beschäftigte schrumpfen.

Detroit ist die Hochburg der amerikanischen Gewerkschaften, der Showdown war bei dieser Unternehmensstrategie fast unausweichlich. Und auch wenn sich die beiden Großverlage mit Sicherheitskräften und Ersatzleuten aus anderen Publikationen gut auf den Streik vorbereitet hatten, mit diesem lang andauernden kostspieligen Widerstand hatten sie wohl nicht gerechnet. Neun Monate nach Beginn des Arbeitskampfes dümpelt die Auflage der beiden Zeitungen bei 600.000. Zuvor waren es 800.000. AnzeigenkundInnen sind weggeblieben, teils aus Solidarität mit den Streikenden, teils weil diese mit Boykott gedroht hatten. „Das Anzeigenvolumen liegt bei 80 Prozent des Levels vor dem Streik“, sagt Manager Alan Lenhoff. „Am Anfang war es sogar noch schlimmer. Im vergangenen August hatten wir einige Wochen lang kaum Anzeigen.“

95 Millionen Dollar Verlust haben die beiden gemeinsam wirtschaftenden Zeitungen nach eigenen Angaben 1995 gemacht. Die Gewerkschaften sagen, insgesamt hätten die Verlage 250 Millionen Dollar verloren. Dennoch wollen Gannett und Knight-Ridder nicht klein beigeben. Das hätte Signalwirkung, und noch ist genug Geld in der Kriegskasse. Dem größten US-Zeitungsverlag Gannett gehören neben den Detroit News über 80 kleinere Zeitungen, das Boulevard-Blatt USA Today und eine Reihe von Rundfunkstationen und Fernsehsendern. 1994 hat das Unternehmen 465 Millionen Dollar Gewinn ausgewiesen. Der Knight- Ridder-Kette, zu der der Philadelphia Inquirer, der Miami Herald und 25 andere Tageszeitungen, Radio- und TV-Stationen gehören, verzeichnete Gewinne von 171 Millionen Dollar.

Es geht um Ideologie, sagen beiden Seiten heute. Ökonomisch gesehen ist der Arbeitskampf absurd. „Die gesammten Arbeitskosten der beiden Zeitungen liegen bei 140 Millionen Dollar im Jahr. Die Verlage haben 250 Millionen Dollar bei der Auseinandersetzung verloren, trotzdem mucken die Aktionäre noch nicht auf“, stöhnt John Lippert, Lokalchef der Journalistengewerkschaft Writers Guilde. „Die glauben immer noch, Krieg zu führen sei billiger als der Frieden.“ Die GewerkschafterInnen haben den Gannett-Aufsichtsrat, in dem auch Expräsidentengattin Rosalyn Carter sitzt, aufgefordert, endlich einzuschreiten – bislang ohne Erfolg.

Lippert stöhnt nicht ohne Grund. Die Gewerkschaften haben sich verschätzt. „Das war wie nukleare Abschreckung, sie haben mit der Demontage der Gewerkschaften gedroht, wir mit Streik. Und keiner hat geglaubt, daß der andere es ernst meint. Sie hatten aber damals einfach mehr Waffen.“ Als am Abend des 13. Juli 1995 eine letzte Verhandlungsrunde bei Detroits Bürgermeister Dennis Archer ohne Einigung auseinanderging, konnten die Zeitungen wider Erwarten weiter erscheinen. „Sie hatten 800 Sicherheitsleute geheuert, um die Auslieferung zu gewährleisten, manchmal hat die Polizei den Weg freigeprügelt.“ Außerdem hätten die Zeitungsketten Ersatzleute aus anderen Publikationen nach Detroit geschickt, um die Blätter weiter produzieren zu können.

2.500 GewerkschaftlerInnen traten in den Streik. JournalistInnen, der Vertrieb und die Technik vorneweg. Sie hatten sich darauf verlassen, damit den Zeitungsbetrieb stoppen zu können und mit Rückendeckung der Bevölkerung die Verlage an den Verhandlungstisch zurückzuzwingen.

In der Bevölkerung herrscht durchaus Sympathie mit den Streikenden. Die sonntägliche Zeitung der Streikenden, Sunday Journal, verkauft 300.000 Exemplare, der katholische Bischof Thomas Gumbleton und diverse demokratische Politiker wurden als Streikposten festgenommen, andere Gewerkschaften und Künstler wie Bruce Springsteen zückten das Scheckbuch. Selbst Bürgermeister Archer schimpfte, die Verlage würden das Image der Stadt ruinieren.

Aber die Konzerne geben nicht nach. „Wir haben sechs Wochen gewartet, dann haben wir Ersatzleute angestellt – unbefristet“, beschreibt Lenhoff die Linie des Kapitals. 1.400 Leute seien neu eingestellt worden. Heute könne man die Zeitungen mit 3.000 Mitarbeitern produzieren. Selbst wenn der Streik morgen zu Ende ginge, könnten die Zeitungsverlage deshalb nur einige der immer noch 1.700 Streikenden wieder einstellen.

Das bringt Lippert in Rage. „Völlig indiskutabel“ sei dieses Vorgehen und gegen die Gesetze. Doch selbst wenn die zuständige Behörde, der National Labour Relations Board, die Einstellung der Ersatzleute für illegal erklärt, wird des Jahre dauern, bis der Prozeß durch alle Instanzen gegangen ist.

Lippert und seinen KollegInnen würde entgültig das Geld ausgehen. Die JournalistInnen würden schlicht abwandern. Die Detroiter GewerkschafterInnen hoffen deswegen auf noch mehr ökonomischen Druck. Am Sonntag kamen der Chef des amerikanischen Gewerkschaftsbundes AFL-Cio, John Sweeney, und Ron Carey, der Chef der Teamsters, nach Detroit. In Florida wird die Knight-Ridder- Zeitung Miami Herald schon von den Gewerkschaften boykottiert. Aber erst wenn die Verluste der Verlage sich endlich auch bei den AktionärInnen bemerkbar machten, sei ein Kompromiß in Sicht. Je eher, desto besser, hofft Lippert. „Ich habe bis jetzt 40.000 Dollar bei dem Streik verloren, und im nächsten Jahr will mein Ältester schließlich aufs College.“ Hermann-Josef Tenhagen