„Wir müssen leider draußen bleiben“

Die irische Regierung hat Hunderte von Grenzschützern auf die Wacht geschickt, um den Schmuggel von nordirischen Rindern in die irische Republik zu verhindern  ■ Von der irischen Grenze Ralf Sotscheck

Mitten auf der Kreuzung steht ein doppelseitiges Stoppschild. Die beiden schlecht asphaltierten Straßen sind kaum breiter als Feldwege. Als ein Lieferwagen auf der Kreuzung anhält, kommt ein Polizist in dunkelblauer Uniform hinter der Hecke am Straßenrand hervor und kontrolliert den Laderaum: Federkernmatratzen für den Markt in Jonesboro. Der Lieferwagen darf weiter. Daß hier die Grenze sei, habe er gar nicht gewußt, obwohl er nur sieben Kilometer entfernt wohne, sagt der Fahrer.

Es ist die Grenze zwischen den beiden irischen Grafschaften Louth und Armagh – die eine liegt in der Republik Irland, die andere in Nordirland. „Seit drei Wochen sind alle Verbindungsstraßen dicht“, sagt John Fitzpatrick, der Polizist. „Hier kommt keine nordirische Kuh durch.“ Es ist die größte Sicherheitsoperation seit 30 Jahren. 600 südirische Beamte wurden aus allen Landesteilen an die Grenze beordert, Urlaub ist bis auf weiteres gestrichen. „Die Rechnung ist einfach“, meint Fitzpatrick, „wir haben bisher 125 Fälle von Rinderwahnsinn, im Norden sind es fast 1.700. Die Abriegelung der Grenze dient der Beruhigung der Kundschaft: Seht her, unsere Kühe sind okay, und die anderen kommen hier nicht rein.“

Die Polizisten schieben Zwölf- Stunden-Schichten rund um die Uhr. „Es ist unendlich langweilig“, meint Fitzpatrick. „Früher soll das hier einer der Haupttransportwege für Rinder gewesen sein. In den ersten Tagen, nachdem die Grenze zu war, haben wir ein paar Wagenladungen Rindfleisch beschlagnahmt, aber inzwischen kommt hier niemand mehr vorbei.“ Fitzpatrick sagt, er sei durch und durch Städter. „Bevor man mich hier hochgeschickt hat, hat mir mein Chef ein Foto einer Kuh gezeigt, damit ich wenigstens weiß, worauf ich achten muß.“

Fitzpatrick kann es sich wenigstens in seinem Privatwagen bequem machen, aber sein Kollege hat kein Auto. „Er muß die ganze Nacht draußen in der Kälte stehen“ – Grenzhäuschen gibt es nicht, weil die Republik Irland diese Grenze bis heute als reines Provisorium betrachtet. Fitzpatrick, ein fast zwei Meter großer Mann von Anfang 20 mit rundem, freundlichen Gesicht, hat sich freiwillig gemeldet, weil die Überstunden gut bezahlt werden. Er ist ledig. „Wer verheiratet ist, bekommt einen Tag in der Woche frei“, sagt Fitzpatrick. „Die anderen nicht. Wie lange das dauern wird, weiß keiner.“ Spätestens Anfang Juli, wenn Irland die EU-Präsidentschaft übernimmt, will er wieder in Dublin sein: „Da kann man mit Personenschutz noch mehr Geld verdienen.“

Das kleine Bauernhaus, das an der Kreuzung liegt, gehört zu Nordirland. Alle paar Stunden kommt die alte Bäuerin und versorgt Fitzpatrick mit Tee. Morgens bringt sie zwei, drei Scheiben Buttertoast, nachmittags eine Untertasse voller Kekse. Manchmal, so wie jetzt, kommt sie auch nur auf ein Schwätzchen. Sie hat sich über ihre Kittelschürze eine braune Strickjacke mit Zopfmuster gezogen, ihre Haare stecken unter einem hellen Kopftuch. Sie läuft etwas gebückt. „Ist ja nicht das erste Mal“, sagt sie. „1967 standen sie hier auch. Damals hatten sie kleine Metallwannen mit einem Desinfektionsmittel. Bevor man über die Grenze wollte, mußte man in die Wanne treten.“

„Die Milchbauern sind schuld – und fein raus“

Damals war es Maul- und Klauenseuche. Während in Großbritannien und Nordirland Hunderttausende Rinder auf den Feldern verbrannt wurden, wurde die südirische Polizei zur Grenzpatrouille abkommandiert.

„Als die IRA in den letzten 25 Jahren immer wieder über die Grenze kam und halb Nordirland in die Luft gejagt hat, da war von euch nichts zu sehen“, schimpft die Bäuerin, „aber kaum rennen hier ein paar verrückte Kühe rum, schon seit ihr da.“ Sie findet, daß nordirische Rinder einen Sonderstatus erhalten und von dem Exportverbot für britisches Rindfleisch ausgenommen werden müßten: „In Nordirland gibt es 1,5 Millionen Rinder. Selbst wenn man die Zahl der BSE-Fälle auf britische Verhältnisse umrechnet, so beträgt sie nicht mal ein Zehntel.“ Allerdings ist sie immer noch viermal so hoch wie im Rest der Welt zusammengenommen, wenn man von Großbritannien absieht.

Für die nordirische Fleischindustrie ist die BSE-Krise eine Katastrophe. Seit die britische Regierung vorigen Monat zugab, daß ein Zusammenhang zwischen dem Rinderwahn und der beim Menschen vorkommenden Creutzfeldt-Jakob-Krankheit bestehen könnte, sind die 20 Schlachthäuser in Nordirland geschlossen. Ihr Hauptabnehmer war bisher Großbritannien. Daß die Europäische Union nach zwei Jahren ihr Interventionslager wieder öffnet und 50.000 Tonnen Rindfleisch einkauft, sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein, meint die Grenzbäuerin. „Die Höfe mit Mastrindern leiden am meisten unter der Krise“, sagt sie, „dabei sind fast ausschließlich Milchkühe vom Rinderwahnsinn betroffen. Es ist die Milchwirtschaft, die das ganze Dilemma verursacht hat, weil man den Kühen Tierkörpermehl zu fressen gab. Aber die Milchbauern haben nun den geringsten Schaden. Sie verlieren am Ende vielleicht die Kuh, die sie normalerweise an den Schlachthof verkaufen, wenn die Milch versiegt, aber zu dem Zeitpunkt hat sie sich doch längst rentiert.“ Die innerirische Grenze verläuft an der Nordwand des Bauernhauses entlang. Das Feld auf der anderen Seite der Straße gehört zu dem Hof. Aber es liegt in Südirland. „Ich darf meine 20 Rinder nicht auf diese Weide schicken, weil der Polizist sie sonst verhaften würde“, sagt die Bäuerin. – „Ich würde die Zollfahndung rufen, die ständig die Grenze patrouilliert“, entgegnet Fitzpatrick. „Bei manchen Bauernhöfen verläuft die Grenze sogar mitten durch das Wohnzimmer. Dann kommt es darauf an, wo die Rinder registriert sind.“ Er zeigt auf die Straße in Richtung Edentubber und fügt hinzu: „Wenn man dort mit dem Auto hinunterfährt, sitzt der Fahrer in Südirland und der Beifahrer in Nordirland.“ Viele kleine Straßen sind so gewunden, daß sie die Grenze ein halbes Dutzend Mal kreuzen. „An jedem Abzweig sitzt ein Polizist“, sagt Fitzpatrick. „Mein Kollege sitzt keine 200 Meter entfernt hinter der nächsten Kurve.“

Declan Murray, der Kollege, hat sein Auto auf dem Grünstreifen am Straßendreieck geparkt. „Vor zwei Wochen haben wir Elektrogeräte im Wert von 5.500 Pfund beschlagnahmt“, sagt er. „Das ist der Nebeneffekt der Operation: Der Schmuggel von Elektronik und Alkohol ist praktisch zum Erliegen gekommen. Aber Kühe oder Rindfleisch? Habe ich hier noch nicht gesehen.“ Kaum ein nordirischer Bauer versucht noch, seine Rinder über die Grenze zu bringen, weil das Risiko zu groß ist. In letzter Zeit ist lediglich ein Transport mit 90 Kühen auf der Hauptstraße von Dublin nach Belfast aufgeflogen. Die Tiere werden beschlagnahmt und getötet.

Abseits von der Straße liegt ein neuer Bungalow aus rotem Backstein. „Die Leute sind noch nicht eingezogen“, sagt Murray. „Die einzigen Leute, die ich zu Gesicht bekomme, sind die Zollpatrouillen, die regelmäßig vorbeischauen, und der fahrbare Mittagstisch.“

Der fahrbare Mittagstisch bringt tatsächlich Beef

Mittags um eins kommt ein Lieferwagen und bringt das Mittagessen aus einem Hotel in Dundalk. „Gestern gab es tatsächlich Beef“, sagt Murray. „Die Boxerhündin, die dort drüben in dem Feld herumstreunt, hat sich sehr darüber gefreut.“ Hat er Rindfleisch wegen BSE abgesetzt? „Ich esse seit fünf Jahren kein Rindfleisch mehr“, sagt er, „das hat nichts mit BSE zu tun. Damals habe ich an einem Polizeilehrgang über Clenbuterol teilgenommen, da ist mir der Appetit vergangen.“ Das Geschäft mit „Angel Dust“, wie das in Europa verbotene Wachstumshormon Clenbuterol genannt wird, ist lukrativ.

Längst mischt die internationale Mafia auf dem Schwarzmarkt kräftig mit. Vor einem Jahr hat sie den 43jährigen belgischen Regierungsveterinär Karel van Noppen durch einen bezahlten Killer ermorden lassen. Van Noppen stand kurz davor, ein Drogenkartell aufzudecken, das in Belgien, den Niederlanden und vermutlich auch Frankreich einen schwunghaften Handel mit „Angel Dust“ trieb. Ein Kollege van Noppens ist nur knapp einem Anschlag entgangen, ein Europaabgeordneter, der eine Kampagne gegen das illegale Hormon führt, wurde mit einer Benzinbombe und einer Handgranate bedacht.

Die irische Polizei hat vor vier Jahren ein riesiges Clenbuterol- Lager ausgehoben – im Haus eines hochrangigen Beamten des Landwirtschaftsministeriums. Im Februar wurde der Viehhändler Danny Fanning aus Tipperary erschossen. Man munkelt, daß die IRA ihn wegen seiner Geschäfte mit „Angel Dust“ getötet hat. Als man Fannings Herde untersuchte, fand man zahlreiche Tiere bis zur Halskrause voller Clenbuterol. Und erst in der vergangenen Woche wurde im Grenzgebiet der Grafschaft Monaghan ein Lager entdeckt.

In dem kleinen Supermarkt in der südirischen Ortschaft Iniskeen preist man das irische Fleisch als „bestes der Welt“ an. Auf Hinweistafeln wird die Kundschaft informiert, das man 50 Produkte, die britisches Rindfleisch enthalten, aus dem Sortiment genommen habe – darunter Lippenstift, Kekse und Vanillepudding. In Jonesboro auf der anderen Seite der Grenze klaffen keine Lücken in den Regalen.

Auch beim Rindfleisch gibt es keinen einzigen Hinweis auf die Herkunft der Ware. „Bei uns gibt es am Sonntag Roastbeef wie jeden Sonntag“, sagt eine Kundin trotzig, „und in meinem Bekanntenkreis ist das nicht anders.“