Bombendrohung und ein Raum zum Weinen

Gestern tagte Südafrikas Wahrheitskommission zum ersten Mal – mit Unterbrechungen  ■ Aus East London Kordula Doerfler

Die Zeremonie glich eher einer Messe denn einer Veranstaltung, auf der nach der Wahrheit gesucht werden soll. Die ersten öffentlichen Anhörungen der südafrikanischen Wahrheitskommission begannen gestern morgen damit, daß deren Vorsitzender, Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, eine Kerze anzündete. Sie soll während der Anhörungen in den kommenden drei Tagen ununterbrochen brennen. Dann wurde gebetet im kolonialen Stadtsaal der City Hall von East London: Tutu bat um Gottes Segen für die Wahrheitskommission, betete für die Opfer und für die Täter. Was er als Ziel der Wahrheitskommission beschrieb, hat eher einen therapeutischen als einen politischen Inhalt. „Ich hoffe, daß durch die Arbeit der Kommission unsere verwundeten und traumatisierten Menschen geheilt werden und wir dadurch zu Versöhnung und Einheit gelangen können.“ Zum Schluß seiner kurzen Ansprache machte Tutu noch einmal deutlich, was er von den Anhörungen erwartet: „Wir wollen nicht, daß sie dem gleichen, was in einem Gerichtssaal passiert.“

Ehe das erste Opfer von Apartheidverbrechen, Nohle Mohapi, ihre Geschichte erzählen konnte, schüttelte die gesamte 17köpfige Kommission den Aussagewilligen einzeln die Hand. An die weiblichen Kommissionsmitglieder wurden Papiertaschentücher verteilt, damit sie im Zweifelsfall ihren Gefühlen freien Lauf lassen können. Außerdem hatte Tutu in einem abgelegenen Zimmer der City Hall einen „Raum zum Weinen“ einrichten lassen.

Die Wahrheitskommission wird keineswegs geliebt

Sieben Opfer sollten gestern die Gelegenheit bekommen, ihre Geschichten zu erzählen, doch allein Nohle Mohapi redete fast zwei Stunden lang, unterbrochen lediglich durch einige wenige Fragen eines Kommissionsmitglieds – und eine Bombendrohung. Kaum eine Stunde nach der offiziellen Eröffnung mußte die Sitzung unterbrochen und das Gebäude evakuiert werden. Die Polizei durchsuchte mit Spürhunden jeden Winkel, wurde aber nicht fündig. Nach einer guten halben Stunde wurden die Anhörungen fortgesetzt.

Tutu reagierte verärgert auf die Störung und erklärte, er werde solcherart Unterbrechungen künftig nicht mehr zulassen. Aus welchem politischen Spektrum die Drohungen kamen, war bis gesten nachmittag nicht bekannt. Die Wahrheitskommission wird in Südafrika keineswegs so geliebt, wie Tutu es glauben möchte. Nicht nur die politische Rechte bis hin zur Nationalen Partei und die Inkatha-Freiheitspartei lehnen die Kommission ab. Auch in der schwarzen Bevölkerungsmehrheit gibt es bei vielen Opfern und deren Hinterbliebenen große Zweifel an den Prinzipien der Wahrheitsfindung, die darauf hinauslaufen, daß die Täter straffrei davonkommen.

Was die Kommission und rund 400 Zuschauer dann zu hören bekamen, war die grausame, etwas verworrene Geschichte einer Familie im südafrikanischen Apartheidalltag. Nohle Mohapis Mann Mapetla wurde 1976 in Polizeigewahrsam in der heutigen Provinz Eastern Cape ermordet, nachdem er unter Terrorismusverdacht verhaftet worden war. Mapetla Mohapi war in der Black-Consciousness-Bewegung aktiv, die Familie war eng mit deren Leitfigur Steve Biko befreundet. Die polizeiliche Untersuchung endete wie in fast allen Fällen dieser Art damit, daß der Inhaftierte angeblich Selbstmord begangen hatte – Mohapi soll sich mit einer Jeans erhängt haben.

Sämtliche Klagen vor Gericht verlor Nohle Mohapi, und sie wurde nach dem Tod ihres Mannes selbst unnachgiebig von den Behörden verfolgt, weil sie eng mit Steve Biko zusammenarbeitete. Obwohl sie zwei kleine Kinder hatte, war sie mehrmals monatelang in Haft und wurde dort gefoltert. Heute, 20 Jahre später, weiß sie immer noch nicht, wer die Mörder ihres Mannes waren.