Freundschaft zwischen Bär und Adler

Die letzten Reserven werden mobilisiert, damit die Fusion von Berlin und Brandenburg zustande kommt  ■ Von Christoph Seils

„Ausgezählt wird am 5. Mai.“ Drei Wochen vor der Volksabstimmung über die Länderfusion zwischen Berlin und Brandenburg blasen die Landesregierungen zur Schlußoffensive im Werbefeldzug. Doch die Skepsis nimmt zu, in Brandenburg droht die Fusion zu scheitern.

Das Wort „Speckgürtel“ mag Manfred Stolpe nicht. „Davon sind wir noch weit entfernt“, erklärt er den 150 Besuchern des Fusionsfrühschoppens in Königs-Wusterhausen am südlichen Stadtrand von Berlin. Viel lieber spricht er vom „Verflechtungsraum“, in dem sich in besonderer Weise die Abstimmungsprobleme zwischen den Bundesländern häuften. Damit es im Umland von Berlin weiter aufwärtsgehe, müsse das gemeinsame Bundesland her, das „mehr für die Menschen tun kann“.

Doch der Beifall im spärlich gefüllten Saal ist mäßig, die Blicke sind skeptisch. Viel Prominenz hat der Verein „pro Brandenburg“ am letzten Sonntag bei seinem 14. Fusionsfrühschoppen aufgeboten. Der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper (SPD), ist dabei, Berlins Justizsenatorin Lore Peschel-Gutzeit (SPD), die CDU-Landesvorsitzende von Brandenburg Carola Hartfelder. Alle gemeinsam sollen sie die skeptischen Brandenburger vom Segen der Fusion überzeugen. Durchs Programm führt der bekannte Sportmoderator der Ex- DDR, Heinz-Florian Oertel. Doch dessen gesamter Charme kann auch nicht darüber hinwegtäuschen: Fusionsbegeisterung will bei den Brandenburgern nicht aufkommen. Meinungsforscher sagen voraus, die Fusion könnte an deren Votum scheitern.

Wenn die Befürworter schwarzsehen

„Prognosen haben in Brandenburg noch nie gestimmt“, macht sich Manfred Stolpe sich Mut. Doch der Trend ist eindeutig. Vor allem in Brandenburg sinkt die Zustimmung den Umfragen zur Folge weiter dramatisch. Nur noch 27 Prozent der Abstimmungsberechtigten werden für die Fusion stimmen, prognostiziert Forsa, 29 Prozent sagt Infas voraus. Selbst in Berlin wird die Mehrheit der Fusionsbefürworter knapper, dort ist die Zustimmungsquote auf 50 Prozent (Forsa) beziehungsweise 43 Prozent (Infas) gesunken.

Zwei kleine Nackedeis sollen für die Landesregierungen die Kohlen aus dem Feuer holen. Die beiden Babies sitzen auf einem Großplakat nebeneinander, halten Händchen und sollen mit dem Slogan: „Gemeinsam sind wir stark für ein gemeinsames Bundesland“ werben. Gestern eröffneten Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) mit einem Aktionstag die Schlußoffensive ihrer Kampagne. Auf beide kommt noch viel Arbeit zu. Diepgen muß vor allem den Berliner Polizeibeamten, Lehrern und Senatsmitarbeitern ihre Sorge nehmen, sie könnten nach der Fusion gegen ihren Willen in die Brandenburger Provinz versetzt werden. Und er muß den noch kalten Kriegern unter seinen Parteifreunden in West- Berlin die Angst vor dem roten Brandenburg austreiben. Manfred Stolpe hingegen ist vor allem mit der Sorge der Brandenburger konfrontiert, sie könnten in einem gemeinsamen Bundesland von den Berlinern über den Tisch gezogen werden.

Wie auf Knopfdruck fallen auch beim sonntäglichen Frühschoppen die Schlagworte der Fusionsgegner: Reduzierung der Kulturförderung, Arbeitsplatzabbau im öffentlichen Dienst, Müllentsorgung für die Hauptstadt. „Wer wird in einem gemeinsamen Bundesland seine Interessen durchsetzen“, so will ein Besucher unter großem Beifall wissen. Die Antwort liefert er gleich mit: Die Hauptstadt, das sei schon in der DDR so gewesen und werde auch in Zukunft so sein. Berlin habe mehr Einwohner und werde im gemeinsamen Parlament mehr Abgeordnete stellen.

Beim Versprechen von Arbeitsplätzen allerdings ist Manfred Stolpe längst vorsichtiger geworden. Von den 700.000 neuen Arbeitsplätzen, die in einer Broschüre seiner Staatskanzlei für möglich gehalten werden, distanziert er sich sogar. „Ich verspreche keine blühenden Gärten“, erklärt der Ministerpräsident den mißtrauischen Besuchern. Wie viele Arbeitsplätze durch die Fusion geschaffen würden, könne niemand vorhersagen. Die Folgen eines Scheitern sind für die Fusionsbefürworter zu einem wichtigen Argument geworden. Die Zahl 207 scheint magisch – so viele Staatsverträge müßten die beiden Bundesländer aushandeln, sollte die Fusion scheitern. Darauf sei Brandenburg nicht vorbereitet, und es könnte dann in der „brutalen Konkurrenz mit Berlin“ erst recht den Kürzeren ziehen, sagt Stolpe. Kommt die Fusion nicht zustande, ergänzt die Vorsitzende des Vereins „pro Brandenburg“, Esther Schiller, drohe Brandenburg neben Mecklenburg-Vorpommern „zum Armenhaus der Republik zu werden“.

Der nordöstlichsten Zipfel ist längst das „Armenhaus“ des Bundeslandes. Fünf Gemeinden in der Prignitz haben damit gedroht, aus Protest gegen den in ihren Augen zögernden Ausbau einer Bundesstraße die Volksabstimmung zu boykottieren. Viele Stimmen gehen da nicht verloren. Bei einer Probeabstimmung der Lokalzeitung hatten sich kürzlich 90 Prozent gegen Berlin-Brandenburg ausgesprochen.