In Südostasien drohen Kindersextouristen hohe Haftstrafen. Deutsche Justizbeamte dagegen glauben, Straftäter schützen zu müssen. Nach Vorwürfen gegen die Botschaften in Thailand und den Philippinen gibt's Zoff im Hause Kinkel. Von Petra Welzel

Mißbrauch, 'ne Bagatelle

Hinter den verschlossenen Türen von Auswärtigem Amt, Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium schwelt ein Streit. Das erfuhr die taz am Wochenende von der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Herta Däubler-Gmelin (siehe Interview). Gestritten wird um die Zuständigkeiten bei der strafrechtlichen Verfolgung von deutschen Kindersextouristen. Tatsächlich wurde bisher allzu freizügig mit dem Recht auf Freizügigkeit umgegangen, nach dem jedem/r BundesbürgerIn im Ausland die Rückreise nach Deutschland gewährt werden muß. Und nach wie vor werden die Ermittlungsverfahren hierzulande und die Zusammenarbeit mit den ausländischen Behörden vor Ort verschleppt.

Ausgelöst haben den Streit die bekannten Vorwürfe gegen Mitarbeiter der deutschen Botschaften in Thailand und auf den Philippinen. Es heißt, sie hätten durch Ausstellen von Reiseersatzdokumenten mindestens zwei Deutschen, Thomas B. und Andreas Friedrich L., die Flucht von den Philippinen ermöglicht. In einem anderen Fall sei in Thailand die frühzeitige Verhaftung des in Frankfurt lebenden Berliners Norbert V. durch Zurückhaltung von Beweismaterial vereitelt worden (die taz berichtete). Der für den letzteren Fall verantwortliche Botschafter in Bangkok, Dieter Siemes, habe dadurch dem weiteren sexuellen Mißbrauch von Kindern Vorschub geleistet – meinen zumindest Herta Däubler-Gmelin und ihre Kolleginnen Dorle Marx, Kinderbeauftragte der SPD, und Ulla Schmidt, Frauenbeauftragte ihrer Partei.

Vor drei Wochen beantragten sie beim Auswärtigen Amt eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Siemes. Jetzt bekamen sie das Antwortschreiben von Außenminister Klaus Kinkel, das der taz vorliegt. „Unser Botschafter in Bangkok hat völlig korrekt gehandelt, da es dem Willen der Bundesregierung entspricht, daß im Ausland straffällig gewordene Personen wie V. möglichst in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden“, lautete die offizielle Antwort aus dem Auswärtigen Amt.

In dem internen Schreiben, das bei den drei SPD-Frauen einging, heißt es schließlich: „Botschafter Dr. Siemes hat nach Bekanntwerden der fraglichen Informationen unverzüglich das Auswärtige Amt sowie die Bundesministerien der Justiz und des Innern unterrichtet und gleichzeitig die deutschen Strafverfolgungsbehörden eingeschaltet. Zugleich hat er um Weisung gebeten, ob die Informationen an die Strafverfolgungsbehörden des Gastlandes weitergegeben werden sollten. Noch am gleichen Tag hat Dr. Siemes die Weisung erhalten, zunächst das Ergebnis der Prüfung dieser Frage durch die zuständigen Ressorts abzuwarten. Der Botschafter hat sich also in jeder Beziehung korrekt verhalten.“

Genutzt hat dem 57jährigen Kindersextouristen und -zuhälter V. diese verordnete Bremsung aus Bonn allerdings nicht. Mit der Videokamera und der thailändischen Polizei entlarvte ihn der TV-Journalist Christian Sterley. Seit Januar 1996 sitzt V. im Gefängnis von Chonburi, eine knappe Autostunde von Bangkok entfernt, und wartet auf seinen Prozeß. Wenn er Pech hat, blüht ihm, wie unlängst einem anderen deutschen Päderasten, dem 36jährigen Karl Heinz N., eine jahrzehntelange Haftstrafe.

„Barfuß stolpert er über den höllisch heißen Asphalt. An seinen Fußknöcheln schwere Eisenringe, dazwischen eine ein Meter lange Kette. Der Berliner Kindersexhändler vor dem Haftrichter“, weiß die Bild-Zeitung in gewohnter Manier nach zwei Monaten Untersuchungshaft zu berichten. Mit ein bißchen Glück, wenn das Bonner Kalkül aufgegangen wäre, wäre ihm in Deutschland eine lange Freiheitsstrafe erspart geblieben.

Obwohl seit dem September 1993 der sexuelle Mißbrauch von Kindern im Ausland auch in Deutschland strafrechtlich verfolgt wird, und obwohl seit dem November 1995 zwischen der Bundesrepublik und den Sextourismusländern in Südostasien eine informelle Absprache über polizeiliche und juristische Zusammenarbeit besteht, werden Kindesmißbrauch hier und dort unterschiedlich bemessen. Warten etwa in Thailand pro nachgewiesenem Fall zehn Jahre auf die Beschuldigten, können in Deutschland nach den Paragraphen 5 und 176 des Strafgesetzbuches Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren verhängt werden. Geschehen ist das bisher nicht: Eine einzige Bewährungsstrafe von acht Monaten wurde bei derzeit etwa 15 anhängigen Verfahren in Deutschland ausgesprochen.

„Das wichtigste ist für uns, daß wir jetzt an diese Leute überhaupt rankommen, daß überhaupt Verfahren stattfinden“, ist dazu die Stellungnahme des Bundesjustizministeriums. Nach Erkenntnis des Justizministeriums handele es sich bei den bekannten Kindersextouristen zudem bloß um „,sexuell völlig normal Orientierte‘, die einfach mal was anderes ausprobieren wollen“. Würden sie in Deutschland gesellschaftlich geoutet, täten die das „im Leben nicht wieder“. Die Partner in Asien sehen das anders. Schließlich haben sie mit den zunehmenden Fällen von Kinderprostitution zu kämpfen. Nahezu eine Million Kinder werden in ganz Asien tagtäglich in diesem Geschäft mißbraucht, so die Schätzung der Kinderschutzorganisation „End Child Prostitution in Asian Tourism“ (ECPAT) – Tendenz steigend. Der thailändische Staatsanwalt Wanchai Roujanavong zweifelt daher an dem Willen seiner deutschen Kollegen, den Päderasten tatsächlich das Handwerk zu legen. „Bonn meint es nicht ernst“, ist seine Einschätzung, und einiges spricht dafür. Als der Journalist Sterley die deutsche Botschaft um Hilfe bat, Norbert V. zu fassen, wurde er von einem Botschaftsangehörigen gefragt, ob er es verantworten könne, „einen Deutschen wegen so etwas für viele Jahre in ein thailändisches Gefängnis zu schicken“.

Diese Töne gingen selbst einem Beamten des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden zu weit: „Darf man eine Schlüsselfigur des deutschen Kindersextourismus in Thailand laufen lassen, nur weil der Strafvollzug dort etwas härter ist als in Deutschland?“ so seine rhetorische Frage.

Dieser Nachfrage wird sich auch Bundesaußenminister Kinkel diese Woche noch mal stellen müssen, wenn Herta Däubler-Gmelin und ihre Kolleginnen ihn um „ergänzende Informationen“ bitten werden. Wer hat in Bonn nun eigentlich die Verzögerungen zu verantworten, wenn alle Auslandsvertretungen die „strikte Weisung haben, in Verfahren wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern durch eine rasche Bearbeitung von Rechtshilfeersuchen der zuständigen Justizbehörden dazu beizutragen, daß derartige Straftaten nicht ungesühnt bleiben“?