Trick und Glück im Kunstverein

■ Varianz und Dichte in zwei spannenden Ausstellungen zu künstlerischen Randbereichen

Sonne und Ruhe, Massagen und reines Wasser, sanfte Musik und Abheben zum Fliegen, Fischen Gesellschaft leisten oder sich an Kindern erfreuen: alles Versuche, dem Glück nahe zu kommen. Die Installation bietet Meditationssound, Bilder von auf Spatzen fliegenden Kindern, Rutsche, Massageliege und andere sinnreiche Entspannungsapperate, aber noch einfacher geht es mit Chemie: als Einstiegsdroge sind Pillen im Angebot. Was ein New-Age-Center sein könnte, ist die zugleich affirmative und kritische Ausstellung „Glück“ des Kölners Carsten Höller im Kunstverein zu Hamburg. Der habilitierte Biologe hat in Kiel an Insekten Evolutionsforschung betrieben, bevor er sich der Kunst als extragenetischer Vermittlungsebene zuwandte.

“Die Suche nach Glück ist ein Großteil unserer Handlungsmotivation“, sagt Carsten Höller, der den aktuellen Wissenschaftsbetrieb eher gräßlich und die interessantesten Anregungen immer noch bei den alten griechischen Philosophen findet. Er möchte nicht nur an einer Theorie des Glücks arbeiten, sondern auch Instrumente zum persönlichen Glückserleben zur Verfügung stellen. „Das Ideal der Ausstellung ist, völlig zu entspannen“.

Der Kunst-Professor meint, daß ein humaner Glückstraum erst wahr werden kann, wenn das evolutionär funktionalisierte Glücksgefühl von seinem primären biologischen Zweck, der Fortpflanzung, befreit ist. Wenn die Ausstellung im Juni in den Kölnischen Kunstverein weitergeht, wird sie dort von einem Symposium begleitet, das sich zwischen Aristoteles-Rezeption und Extasy-Forschung, Künstlicher Intelligenz, Neurochirurgie und Epikureertum weiter den Fragen der Evolution stellt.

Einem anderen Randbereich des künstlerischem Ausdrucks widmet sich eine weitere Kunstvereins-Ausstellung im oberen Raum. Der in Warschau geborene, rumänische Künstler Andr Cadere unterwanderte Ausstellungen anderer Künstler mit eigenen Arbeiten auf eine ebenso naheliegende, wie in den siebziger Jahren noch neue Taktik: er hatte seine tragbare Kunst wie einen Schamanenstab immer dabei, stellte er ihn kurzzeitig ab, war der Ort eine weitere Ausstellung von ihm.

In den siebziger Jahren waren die Strategien zur Eroberung der Kunst zugleich egomaner und provokativer. Heute würde der schon 1978 mit 44 Jahren in Paris gestorbene Künstler dafür vermutlich nicht mehr aus Galerien hinausgeworfen werden, sind doch die Ausstellungsmacher offener für Kunst geworden, die das „Betriebssystem Kunst“ in Frage stellen. Doch wie viele damalige soziale Aktivitäten, sind deren Sprengkraft nur noch in Fotos und Dokumenten zu ahnen, während die erhaltenen Rundholzstäbe mit ihren Farbpermutationen inzwischen wieder in die Kunstgeschichte der klassischen Moderne eingebunden sind.

Der Kunstverein zeigt ganz passend die mit Originalen und Dokumentation reich bestückte Retrospektive hukepack in der Ausstellung von Bildern, Fotos und Guachen von Günther Förg. Bleiben dem einen die Innen- und Außenwände des neugebauten Pavillons überlassen, besetzen die farbigen Elemente von Andr Cadere mit ihrer genauen, aber immer mit einer Abweichung kontaminierten Reihenbildung, liegend, stehend und hängend Zwischenräume und Hallenwand.

Endlich erreicht der Kunstverein jene Varianz und Dichte des Angebots, das die Räume zulassen. Doch wie es weitergeht ist ungewiss: am kommenden Montag steht auf der vorgezogenen Mitgliederversammlung auch indirekt der Verbleib des Direktors Stephan Schmidt-Wulffen zu Diskussion.

Hajo Schiff

Beide Ausstellungen bis 5. Mai im Kunstverein, Klosterwall 23