„Wir haben lange genug Wunden geleckt“

■ Gespräche und Widerstand: Die neue GEW-Chefin Anna Ammonn im taz-Interview

taz: Mitgliederschwund und Sinnkrise der Gewerkschaften, Sozial- und Bildungsabbau in der Gesellschaft – Frau Ammonn, warum haben Sie sich am Montag zur GEW-Landesvorsitzenden wählen lassen?

Anna Ammonn: Mir macht die Gewerkschaftsarbeit Spaß. Ich möchte mich einschalten in den Diskussionsprozeß um die Frage: Wohin geht diese Gesellschaft? Wohin müssen sich Gewerkschaften bewegen? Den Prozeß des sozialen Abbaus möchte ich nicht mitgehen.

Zur Zeit sind Bündnisse für Arbeit groß in Mode – Gewerkschaften auf Schmusekurs also.

Die Arbeitgeber und teilweise auch die Politker haben hier durch ihre provokante Ablehnung deutlich gemacht, daß die Angebote und die Mitgestaltung begrenzt sind. Dem müssen die Gewerkschaften entgegensteuern. Ich denke, daß wir im Bildungsbereich vor einer nächsten Welle der Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für Lehrer stehen. Ankündigungen gibt es von Hamburger Politikern ja genug. Aber diese Verschlechterungen sind mit uns nicht zu machen.

Muß sich Schulsenatorin Rosemarie Raab mit Ihnen an der GEW-Spitze auf eine härtere Gangart einstellen?

Ich fürchte, daß die Dialogunfähigkeit der Senatorin anhalten wird. Frau Raab hat ja die Signale der Gewerkschaft, sich an der Entwicklung neuer Arbeitszeitmodellen für Lehrer zu beteiligen, brüsk zurückgewiesen. Wir werden weiterhin das Gespräch suchen. Wir müssen aber auch unsere Widerstandskraft stärken.

Was sind Ihre wichtigsten Ziele?

Ein wichtiges Vorhaben ist, unsere allseits anerkannten Forderungen zur Verläßlichen Halbtagsgrundschule nach mehr Lehrern, Räumen, mehr Teilungsstunden und nach einer freiwilligen Einführung durchzusetzen. Über Aktionen und Maßnahmen werden wir in Kürze beraten, damit wir nicht nur auf der verbalen Ebene bleiben.

Wie sollen die Forderungen durchgesetzt werden? Keine Reformen in Sparzeiten mit der GEW?

Es ist dringend notwendig, daß die GEW wieder ihr bildungspolitisches Profil schärft. Wir sind gut, was die Ziele und Konzepte im Bereich der Verläßlichen Halbtagsgrundschule anbelangt. Aber in anderen Bereichen haben wir nicht genügend Antworten darauf, in welche Richtung sich Schule verändern soll.

Zum Beispiel, wenn es im Sommer mit dem neuen Schulgesetz mehr Autonomie für die Schulen geben soll. In der GEW wird die Frage kontrovers diskutiert, ob wir uns da am Sparen beteiligen, wenn jetzt Profilbildungen unter Sparauflagen erarbeitet werden sollen. Wir müssen die Gradwanderung zwischen Beteiligung am Schulreformprozeß und Widerstand gegen Verschlechterungen gehen.

Sie liegen mit ihren 47 Jahren voll im Alterstrend der Hamburger LehrerInnen. Ihr Rezept für eine Verjüngungskur?

Ich denke, es gibt auch frische Lehrer unter den 40- bis 50jährigen. Und Erfahrung ist ja auch viel Wert. Aber, daß es Schülerinnen und Schüler in Hamburg gibt, die ausschließlich von ihrer Großelterngeneration unterrichtet werden, das geht nicht. Deshalb muß es eine Kontinuität bei der Einstellung geben. Bis zum Jahr 2000 gibt es circa 20.000 Schüler mehr. Wenn wir die Versorgung so halten wollen, wie sie ist, und sie ist jetzt schon nicht gut, dann brauchen wir 1000 zusätzliche Stellen.

Ihr Vorgänger Hans-Peter de Lorent hofft, daß Sie mehr integrierend als polarisierend wirken werden. Wie sehen Sie ihre Aufgabe innerhalb der GEW?

Wenn ich polarisieren wollte, hätte ich mich für dieses Amt nicht beworben. Andererseits finde ich es nicht nachteilig, daß Gewerkschaften um unterschiedliche Positionen ringen. Ich sehe meine Aufgabe darin, Vertreter der unterschiedlichen Standpunkte an einen Tisch zu holen und dafür zu sorgen, daß es zu einer fairen Auseinandersetzung kommt. Wir haben lange genug Wunden geleckt.

Fragen: Patricia Faller