Blaumann ohne Essen

■ Bauverwaltung wirft Bauarbeiter aus Kantine raus. Sprecherin versichert aber trotzdem: "Wir haben alle Bauarbeiter lieb."

In jeder Kantine der Stadt können hungrige Bauarbeiter warm essen, nur in der Kantine der Senatsbauverwaltung in der Behrenstraße in Mitte nicht mehr. „Es tut uns leid! Auf Weisung der Senatsverwaltung ist es uns ab sofort untersagt, dem Bauhandwerk die Nutzung des Casinos zu gestatten“, ist auf einem Schild zu lesen, das Kantinenpächter Jürgen Fettin am Eingang aufgehängt hat.

Die Weisung des Landesverwaltungsamtes hat Fettin am vergangenen Freitag aus heiterem Himmel ereilt. Zur Begründung hieß es, die subventionierte Behördenkantine sei in letzter Zeit verstärkt von Bauarbeitern der umliegenden Baustellen frequentiert worden, was heftige Klagen der Verwaltungsmitarbeiter zur Folge gehabt habe. Aufgrund des großen Andranges hätten diese manchmal bis zu zwanzig Minuten anstehen müssen, um ihr Essen zu bekommen und seien zudem noch Gefahr gelaufen, sich auf staubigem Gestühl Kleid oder Anzug zu verschmutzen.

„Bei uns hat sich keiner beschwert“, wunderte sich Fettin gestern. Er macht keinen Hehl daraus, daß ihm die Anweisung überhaupt nicht schmeckt. „Ich war 17 Jahre Kantinenpächter am Familiengericht, da wäre so was undenkbar gewesen. Da konnte jeder essen, der wollte.“ Bauarbeiter, die sich trotz des Schilds ins Casino wagten, würden selbstverständlich weiter bedient, betonte der Kantinenchef. Und wirklich: einige Tische waren am gestrigen späten Vormittag mit schmausenden Handwerkern besetzt. „Ick bin Analphabet“, grinst einer und kaut genußvoll auf einer Bockwurst. „Seit das Schild hängt, trauen sich viele Kollegen nicht mehr rein. Aus Solidarität bleiben auch manche Bauleiter weg“, erzählt ein anderer. „Das ist doch eine totale Sauerei. Seit ich Bauarbeiter bin, habe ich immer in den Kantinen neben den Baustellen gegessen: in Krankenhäusern, Ämtern oder Gerichten. Und jetzt versucht uns ausgerechnet die Bauverwaltung auszusperren“, wettert er.

Die Pressesprecherin der Senatsbauverwaltung, Sabine Wolff, bezeichnete das Schild als „sehr unglücklich formuliert“. Es werde ein anderes aufgehängt, kündigte sie an, aber der Sachverhalt bleibe der gleiche. „Wir haben alle Bauarbeiter lieb“, säuselte Wolff. Aber das subventionierte Essen in der behördeneigenen Kantine könne man deshalb doch nicht mit allen teilen.

Kantinenpächter Fettin schätzt, daß bei ihm um die 40 Mann von den Baustellen eingekehrt sind. Essen sei immer für alle genug dagewesen, und der meiste Staub käme von draußen hereingeflogen. Daß es kürzlich zu längeren Wartezeiten gekommen sei, liege an den 200 Mitarbeitern der gegenüberliegenden Kreditanstalt für Wiederaufbau, die seit Anfang April neben den 70 Angestellten der Bauverwaltung im Casino bekocht würden. „Wenn die Anzüge und Krawatten kommen, sind wir meist schon weg“, geben ihm die Männer im Blaumann recht. Plutonia Plarre