Chronist des Brooklyn Zoo

■ Der rappende Madman Ol' Dirty Bastard bedient sich souverän alter Rollen

Der Ol' Dirty Bastard ist mein Jahrgang. Doch das ist auch die einzige Gemeinsamkeit. Der Bastard steckt tief in der Welt aus Kung Fu und Shaolin-Fantasy, aus verschlüsselten Botschaften und Ninja-Kämpfern, deren Ikonographie eine der gut behüteten Geheimwissenschaft der Pop-Kultur ist. So heißt das Solo-Debut des ersten Wu-Tang-Clan-Mitglieds, das Hamburg heimsucht, The Return Of The 36 Chambers, worauf gleich zu Anfang mit einem Ninja-Film-Dialog angespielt wird.

Trotz dieser augenscheinlichen Differenz zu mitteleuropäischen Hörern – der Bastard ist weit von der von MTV gleichgeschalteten „International Youth Culture“ entfernt – hat sich seine Platte, wie alles vom Wu Tang Clan, gerade hier prächtig verkauft. Dabei ist der Bastard noch unverdaulicher als seine Kollegen Raekwon und Method Man, die auch ein paar Reime beisteuern.

Er ist – das wird von Anfang an klar gemacht – „something crazy“, ein Madman, der seine Durchgeknalltheit als Waffe einsetzt. Wie etwa bei Lee „Scratch“ Perry oder George Clinton, die wie der Bastard keinen festen Wohnsitz angeben, gerät sie zur Metapher für die afro-amerikanische Psyche oder zu einer Überlebensstrategie für Schwarze in den USA. Der Verdienst des Ol' Dirty Bastards liegt darin, dieser brachliegenden Rolle aus den 70ern neues Leben einzuhauchen, um sie der aktuellen HipHop-Jugend zu vermitteln.

Das Schlüsselwort der 36. Kammer ist der Brooklyn Zoo, als den er seine Neighbourhood immer wieder bezeichnet. Und er, der ehemalige Insasse dieses Zoos, ist gleichzeitig der wahnsinnige Chronist.

Gepaart ist diese ausweglose Sicht auf die eigenen Lebensumstände mit einem knochentrockenen Zynismus, wenn er sich etwa dafür bedankt, daß ein „Nigga“ am Leben gelassen wurde. Manchmal unterläuft ihm auch der genretypische Sexismus, wenn er davon berichtet, wie ihm die „Eier geleckt“ wurden. All diese Stränge bündelt der Bastard zu einem dichten Geflecht aus Verweisen und Sprachgesten, das noch längst nicht entwirrt wurde.

Dabei ist er natürlich kein Stilist, sein Rap schert sich nicht um Stabreime, sondern rhythmisiert Sprache über Tonfälle, die Halsschlagadern bis zum Platzen gespannt. Manchmal – auch in seinem Opern-Vibrato – erinnert er an die Poetry-Legenden Jalal oder Kain. Auch hier gebührt ihm das Verdienst, Stränge aus den 70er Jahren in sein Wu-Tang-Clan-Universum einzupassen und sie so zu aktualisieren.

Der Wu-Tang- Clan-DJ The Rza hat seine Geschichten aus dem Zoo zum Anlaß genommen, noch kompromißloser und experimenteller als bisher zu tönen. Die Wahnsinns-Welten des Bastards unterstützt er mit klimpernden, neutönenden Klavierklängen, die mit ge-spreizten Fingern gespielt scheinen, sowie Filmschnipseln von Kung-Fu-Schlägereien und langgezogenen Bassläufen. Dabei bleibt er immer spartanisch und beschwert die endlosen Tiraden des Ol' Dirty Bastards mit dem unbedingt nötigen Ballast. Volker Marquardt

Di., 23. April, 21 Uhr, Markthalle