Echo der zerbrochenen Träume

■ Überfällige Einblicke in die alltägliche Zerrissenheit: Das Metropolis zeigt in einer Reihe 14 Filme aus Algerien

Fundamentalismus, Terror und Fremdenhaß – das sind die grellen Schlaglichter, die uns seit Jahren via Satellit aus Algerien erreichen. Doch was wissen wir schon über das ferne Land? Es gibt weder Einblicke ins Alltagsleben noch Mischfarben oder Zwischentöne. Die Geschichte des Landes ist uns genauso fremd wie die konkreten politischen Konflikte der Gegenwart.

Bewegung tut not, deshalb lädt das Metropolis-Kino zu der umfangreichsten algerischen Retrospektive ein, die in Hamburg je zu sehen war. Bis zum 28. April werden vierzehn Filme präsentiert, die die Zerrissenheit der Region markieren und dem Echo der „Zerbrochenen Träume“ lauschen. Dabei wird einer der schönsten, filigransten Filme den Reigen eröffnen, zu dem auch der Leiter der algerischen Kinemathek, BoudjemÛa Kareche, als Gast erwartet wird.

Mit einem Hauch von komischer Melancholie und Bildern, die mehr erzählen als jeder Dialog, führt Die Zitadelle (1988) von Mohamed Chouikh in die abgeschlossene Welt einer Siedlung. Dort diktieren alte Männer die polygamen Gesetze der Liebe und des Lebens. Doch statt der naheliegenden Dramaturgie zu folgen und die Nebenfrauen als tragisches Ensemble einzuführen, spielt Chouikh mit dem Kunstgriff der Verschiebung.

Die Entlarvung patriarchalischer Strukturen überläßt er Kaddour, dem einzigen Junggesellen im Dorf, dessen Liebe zu einer verheirateten Frau eine verhängnisvolle Strafaktion der Greise nach sich zieht.

Ähnlich virtuos ist auch Rachid Boucharebs preisgekrönter Spielfilm Cheb (1991) konstruiert, der seinen Blick weniger auf das Verhältnis der Geschlechter als auf die zermürbende Spannung zweier Staaten richtet und damit ein Problem der Beurs, der nordafrikanischen Auswanderer, fokussiert. Als Merouan aus Frankreich ausgewiesen wird, kehrt er als Fremder in seine „Heimat“ zurück. Doch ihm gelingt die Flucht aus Afrika in den „grauen Norden“, um dort zu enden, wovor er in Algerien desertiert war: in der Armee.

Wie prekär die aktuelle Lage der algerischen Kinematografie zwischen staatlichen Budgetkürzungen und Anfeindungen seitens religiöser Gruppen ist, dokumentiert Merzak Allouaches Rückblick auf die Nachwehen der blutigen Oktober-Unruhen von 1988. So spielt Bab el Qued City (1994) zwar im historischen Viertel von Algier – dort, wo sich die inzwischen verbotene „Islamische Heilsfront“ (FIS) organisierte –, doch mehr als kurze Autofahrten und Panoramen über die Dächer hinweg waren nicht möglich. Aus Angst vor Anschlägen wurden die Dreharbeiten ins Umland verlegt.

Es gibt keine Patentlösung, keinen Sekundenkleber für die schmerzhaften Bruchstellen. Aber es gibt Filme, die zu produktiven Kontroversen anregen. So wie Gillo Pontecorvos Schlacht um Algier (1966), die damals in Paris aus den Kinos genommen wurde und im neorealistischen Stil den Konflikt rekonstruiert, der bis heute seinen Nachhall findet: Die Aufstände in Algier ab Mitte der 50er, die 1962 nach 130 Jahren französischer Kolonialzeit zur Unabhängigkeit geführt haben. Zwanzig Jahre später wagt Mahmoud Zemmouri (Die Stammesehre), der ebenfalls zugegen sein wird, mit seinen verrückten Jahren des Twist eine erfrischend böse Groteske über die letzten zwei Jahre des Krieges. „Banalisierung des Befreiungskampfes“ warf man ihm vor – „Demystifikation“ antwortet der Regisseur. Silke Kirsch

Eröffnung mit Gästen: Fr., 19. April, 20 Uhr, Metropolis