Zwischen Avantgarde-Theater und Heartbreakers' Ball

■ Die Kulturetage Oldenburg feiert: Nach zehn Jahren trifft sich alternatives Theater mit den Größen des internationalen Tanztheaters

Die Kulturetage beherrscht den Spagat. Denn zehn Jahre lang galt es, zwischen hochkarätigem belgischem Tanztheater und „Up-to-heaven“, der oldenburgischen Variante des Heartbreakers-Ball, Kunst und Geld miteinander auszubalancieren. Ein Drahtseilakt, der den Gleichgewichtssinn trainiert und offensichtlich auch Mut zur Expansion macht. Die ursprüngliche Keimzelle, die den Namen gab, hat sich zum Kulturzentrum gemausert. In drei Häusern finden auf 5000 Quadratmetern vier Probenräume, zwei Bühnen und eine große Aufführungshalle für 500 bis 1000 Zuschauer Platz. Bernd Wach, Geschäftsführer und Gründungsmitglied, faßt die Kontinuität der Aufbauarbeit zusammen: „Im Grunde wird seit zehn Jahren irgendwo gehämmert und geschraubt, eigentlich sind zehn Jahre Kulturetage zehn Jahre Baustelle.“

Begonnen hat man ursprünglich mit dem größten Idealismus und festen Vorstellungen. Berd Wach, damals noch Schauspieler und Regisseur, erinnert sich: „Wir wußten vor allem, was wir nicht wollten: wie im Staatstheater arbeiten, keine Hierarchien.“ In ganz Europa gründeten sich die freien Theatergruppen, prägten sich alternative Formen heraus. Auch die Oldenburger hatten in Italien jede Menge Straßentheater gemacht, Workshops besucht und sich das Living-Theatre zum Vorbild genommen.

Dennoch, der Anfang war schwer, es fand sich schlicht nicht ausreichend Publikum für eine solch spezielle Sache wie freies Theater. Doch das Team von der Kulturetage zeigte sich flexibel. Neben der künstlerischen Arbeit begann man, Bereiche auszubauen, mit denen das Publikumsinteresse leichter zu gewinnen war. Anpassungsprozeß oder realistischer Kompromiß? Noch immer produzieren die fünf Ensemblemitglieder der Kulturetage im Jahr zwei große und drei kleine Theater-Produktionen. Aber darüber hinaus hat das Haus sein ganz eigenes Profil gewonnen. Man ging die einmal eingeschlagene Richtung weiter, setzte auf Seltenheitswert. Seit etwa fünf Jahren profiliert sich ein ganzjähriges Gastspielprogramm für internationales avantgardistisches Theater auf hohem Niveau. „Das traut sich ja sonst keiner. Außer der Kampnagelfabrik in Hamburg und dem Hebbel-Theater in Berlin sind wir die einzigen“, sagt Honne Dormann, der für die Kulturetage besonders in Osteuropa viele Gruppen anschaut und das Programm zusammenstellt. Populärer als diese anspruchsvollen Theatertage, die allerdings das interessierte Publikum durchaus zu schätzen weiß, sind dann die anderen Aktivitäten der Etage. Der Verein öffnet die Räume für Oldenburger Gruppen, die hier unverbindlich proben möchten, bietet ein soziokulturelles Zentrum und behebergt in Zukunft den Offenen Kanal. Große Hoffungen setzt man auch auf die im Hause befindliche Kneipe. Vielleicht können mit Weizenbier und überbackenem Camenbert Gäste für die Kulturetage gefunden werden, die sonst nicht im Traum daran dächten, zur Aufführung von Genets „Zofen“ in albanischer Sprache den Fuß über die Schwelle zu setzen. Das Schrägste aber ist für die Oldenburger der Party-Service, mit dem sie die große Halle nutzen und auf einen Schlag bei der „Up to heaven“-Kontaktbörse – „Das hat höchstens noch mit Soziokultur zu tun, denn es geht hier ausschließlich ums Abfüllen und Abschleppen“ – durch Bierverkauf und Miete „anständig Geld“ verdienen.

Das hat die Kulturetage auch bitter nötig. Nur eine halbe Million gibt die Stadt, den Hauptteil ihres 2,5 Millionen Mark-Etats müssen sie durch Sponsoren, Stiftungen und Eintrittspreise heranschaffen. Schließlich arbeiten mittlerweile 25 Mitarbeiter mehr oder weniger fest am und im Haus. Ein kleines Wunder, wenn man bedenkt, wie die Szene im wesentlich größeren Bremen aussieht. Hier hat das Junge Theater mit Mühe vier Stellen geschaffen. Was ist anders in Oldenburg? Bernd Wach analysiert: „Nach der langen konservativen Kulturpolitik macht der Wechsel auf Rot-Grün im Lande Niedersachsen wirklich einen Unterschied. Und die Kultusministerin Helga Schuchert hat zwar keinen großen Einfluß, aber sie ist eine kompetente Diskussionspartnerin, die sich wirklich interessiert.“

Susanne Raubold

Im Jubiläums-Programm bietet die Kulturetage: Heute um 21 Uhr die Tanztheater-Comedy „Der Diwan“ des Sofa–Trios aus Ungarn und im Studio „Be Mine or Run“, 21 Uhr. Am Freitag: „Titanic und Ich“ und Francesca de Martin mit „Kriminal Bella“ um 21.30 Uhr. Am Samstag: Ab 23 Uhr startet die Geburtstags-Party bei freiem Eintritt,