Kölner Reservist wird mit Krankl verglichen

■ Eine germanische Heldensage aus Wien: Mit Toren des Deutschen Carsten Jancker will Österreichs Pokalsieger Rapid heute gegen Feyenoord Rotterdam ins Europapokalfinale

Wien (taz) – Ein Pflaster an Carsten Janckers rechter Stirnhälfte zeugte noch lange danach von jener „Heldensage“, die Österreichs Nachrichtenmagazin News vom Viertelfinale des europäischen Pokalsiegerwettbewerbs verkündet hatte. Ein deutscher „Siegfried“ im grün-weißen Leiberl von Rapid Wien hatte den Traditionsklub aus dem Randbezirk Hütteldorf mit zwei Treffern gegen Dynamo Moskau ins Semifinale geschossen – trotz einer klaffenden Kopfwunde.

Seitdem steht der kräftig gebaute junge Mann in Österreich im Mittelpunkt des Interesses, posiert auch schon mal oben ohne für den Fotografen und wird gar mit dem Rapid-Idol Hans Krankl verglichen. Diesem Medienecho steht Carsten Jancker (21) eher nüchtern entgegen. „Der Rummel um meine Person legt sich schon wieder“, sagt er.

Diese Vorsicht ist vermutlich ein Überbleibsel aus schlechteren Zeiten. Als 16jähriger war er von Hansa Rostock nach Köln gekommen, hatte aber dort nie richtig Fuß gefaßt: Der damalige Übungsleiter Morten Olsen setzte in unruhigen Zeiten auf die Routine von Toni Polster und Bruno Labbadia. „Auf einmal“, sagt Jancker heute, „war alles in weiter Ferne.“ Entrückt die Karriere als Bundesliga- Profi, entrückt auch das Trikot der deutschen U21. Der Ostdeutsche faßte einen Entschluß: „Ich wollte ganz einfach Spielpraxis; das aber war in Köln nicht möglich.“ Rapid Wien lieh die Nachwuchskraft vor dieser Saison für 100.000 Mark aus – der Tip kam von Toni Polster.

Er war gut, wie sich nicht nur im europäischen Wettbewerb herausstellen sollte. Auch in der österreichischen Bundesliga avancierte Rapid Wien mit Jancker unerwartet zur Numero eins. „Ein starkes Rapid – das würde unserer Liga gut tun“, hatten vor Jahresfrist die Präsidenten von Meister Austria Salzburg und Kronprinz Sturm Graz noch gewitzelt. Die Herren rechneten allenfalls mit Horst Hrubeschs Austria. Jetzt sind nur noch die Grazer, die einen Punkt zurückliegen, reeller Konkurrent.

Zwei Jahre ist es erst her, daß Rapid dem Fall ins Niemandsland nur knapp entschlich. Schlagzeilen produzierten die Hütteldorfer damals vornehmlich durch Finanzskandale. Der Schuldenstand schnellte auf angeblich über zehn Millionen Mark. Der Konkurs wurde damals durch den Einstieg der Bank Austria vermieden. Die päppelte den Klub mit etwa 14 Millionen Mark auf. In diesem Jahr rechnet Austria-Banker und Rapid-Boß Günther Kaltenbrunner damit, „am Ende der Saison positiv zu bilanzieren“.

Die finanzielle Konsolidierung hat eine sportliche nach sich gezogen. Letztere trägt die Handschrift von Ernst Dokupil. Der alte Rapid-Recke, sagt sein Mittelstürmer Jancker, habe „die richtige Mischung aus Erfahrung und jugendlichem Elan gefunden“. Das tat er auf dem Transfermarkt. Den bulgarischen Auswahlspieler Trifon Iwanow fand man da, Janckers Sturmkollegen Christian Stumpf (aus Linz und mittlerweile im Nationalteam), Mittelfeld-As Peter Stöger (vom FC Tirol) und – eben Carsten Jancker.

Die Kölner Leihgabe wurde anfangs ob ihrer Schlaksigkeit belächelt. Inzwischen denkt man in Wien anders: „Wir haben eine Option, die wir wahrnehmen“, sagt Ernst Dokupil. Das kostet Rapid 400.000 Mark, und „die 400.000“, glaubt er, „hat er uns sicher schon hereingespielt“. Für Jancker wär's nicht schlecht: Bei Rapid hat er das, was ihm beim 1. FC Köln gefehlt hat: das Vertrauen des Trainers. „Ich kann auch mal ein schlechtes Spiel machen“, sagt er. Das Vertrauen jedenfalls hat er Dokupil und Rapid Wien längst zurückgezahlt – seine Treffsicherheit hat den Klub ins heutige Europacup-Halbfinale gebracht. Und Wien eine Ahnung von der großen Fußballwelt. Arie Haan ist bekanntlich dort zu Hause. Der Rotterdamer Trainer hatte zunächst noch geglaubt, seinen Augen und Ohren nicht mehr trauen zu können: „Den Jancker kenne ich doch aus Köln“, sagte der Holländer. „Der kann nicht Rapids Europacup-Held sein.“ Seit dem Hinspiel in Rotterdam weiß er es besser: Gladbach-Bezwinger Feyenoord schaffte nur ein 1:1 – Rapids Treffer schoß Jancker. Thilo Knott