Vorgefühl vieler frohen Tage

Nach dem 2:1-Sieg beim FC Barcelona darf Bayern München am Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse zum UEFA-Cup streben  ■ Aus Barcelona Werner Kuhn

Nach dem bei häßlichem Schneegestöber erreichten häßlichen Ergebnis vom Hinspiel könnte den Bayern bei ihrer Ankunft im mediterranen Barcelona mit Novalis in den Sinn gekommen sein: „Es sind nicht die bunten Farben, die lustigen Töne und die warme Luft, die uns im Frühling so begeistern. Es ist der stille, weissagende Geist unendlicher Hoffnungen, ein Vorgefühl vieler frohen Tage ...“ Und tatsächlich: Beim fünften Konter, in der 39. Minute, war es soweit. Scholl lief seinem Bewacher davon, schoß, Busquets war mit seinen Überlegungen („Fausten oder fangen“) noch nicht zu Ende gekommen, und so klatschte er den Ball vor Babbels Füße. Der hatte noch was gutzumachen: 0:1.

Wenn jemand wissen mußte, daß ein auf gegnerischem Platz erzieltes 2:2 aus dem Hinspiel eventuell nicht ausreicht, dann war es der FC Barcelona, der auf eigenem Platz mit dem PSV Eindhoven so verblieben war, um dann auswärts 3:2 zu gewinnen. Auch war die stolze Auswärtsbilanz der Bayern sattsam bekannt: vier Siege in vier Spielen.

Auf der anderen Seite hatte Barça in dieser Saison noch kein Heimspiel verloren, und vor allem konnte man in den letzten Wochen den Eindruck bekommen, daß die Mannschaft dabei war, zu ihren Ursprüngen zurückzufinden, die sie Anfang der neunziger Jahre zum „Dream Team“ gemacht hatten. Kein Torschützenkönig, dafür spielen alle mit, wird jeder gebraucht beim Ballverteilen, beim Spielaufbau, beim Toreschießen. Diese Organisation war mit Romario abgestorben.

Das wußte natürlich auch der Franz. Manchmal hat's der Bayern- Präsident schon faustdick hinter den Ohren. Hatte er doch glatt gleich nach dem Spiel in München das Ergebnis des Rückspiels vorausgesagt: 1:2! Und das, bevor Beckenbauer in Marbella bei der Übertragung des spanischen Pokalendspiels das Patentrezept gegen Barça entdeckte: „Schon im Mittelfeld attackieren, dann können die die Bälle nicht so schön verteilen.“ Keine falsche Überlegung. „Die Lust an der Zerstörung ist eine schöpferische Lust“, wie schon Bakunin wußte – doch würde Wittgenstein dagegenhalten, daß alles, was wir sehen, auch anders sein könnte.

Lassen wir's deshalb dahingestellt, ob die Tatsache, daß der Ball bei Barça diesmal nicht so schön lief, nicht auch und vor allem dem Umstand geschuldet sein könnte, daß Guardiola und Celades verletzt waren, zwei wichtige Räder bei diesem System. In der ganzen ersten Halbzeit Feldüberlegenheit von Barcelona, aber mehrere Torgelegenheiten auf beiden Seiten, das Spiel hatte Farbe, das Zusehen machte Spaß. Doch schon als die Bayern nach der Pause aus den Kabinen kamen, schien die Barça- Hymne, die aus den Lautsprechern kam, nicht mehr ganz so triumphierend zu dröhnen. Die 115.000 im Nou Camp wußten, daß es um die Wurst ging, und feuerten die Mannschaft an. Doch im Grunde gab es nur eine Neuauflage der ersten Hälfte: Barça kontrollierte den Ball, erhöhte ungemein sein Eckenkonto (am Ende 10:4), und als alles nicht fruchtete, wechselte Trainer Johan Cruyff endlich Publikumsliebling Ivan ein. Das war die stärkste Phase der Katalanen.

„Wohlauf denn ..., wo nichts mehr feststeht und kein Grund mehr ist, da gerade werden wir unsere Pfähle einrammen“, mag da Witeczeck mit Gustav Landauer gedacht haben. Er faßte sich in der 84. Minute ein Herz, Nadal fälschte seinen Schuß noch ab: 0:2. Hatte Beckenbauer seine klammheimliche Freude bis eben noch kontrolliert, sprang er nun auf und jubelte. Jetzt war er zum Greifen nahe, der „Versager“-Cup, wie ihn der junge Beckenbauer einmal nannte. Drei Minuten später wurde Jordi, der kleine Cruyff, genau an Herrn Kahns rechter Strafraumecke gefoult, Ivan lief zum fälligen Freistoß an, Strunz, an seinen Kollegen Nadal denkend, fälschte den Ball in einer noblen Geste ab, und es stand nur noch 1:2. Dann Schlußpfiff, und einige Bayernspieler ballten sich zu einem unzüchtigen Männerknäuel zusammen.

Bayerns Präsident Franz Beckenbauer wäre lieber erst im Endspiel auf Barça getroffen – was gerade zu Ende ging, hatte er als „Traumhalbfinale“ bezeichnet. Seit Freud wissen wir aber, daß es sich bei dem, woran wir uns beim Erwachen erinnern, nur um die „Fassade“ handelt. Dahinter verbirgt sich der wirkliche Traumvorgang. Fragt sich, welches unbewußte Material aus dem Es, ursprüngliches oder verdrängtes, hier vorbewußt wird, sich einem wie Ihm aufdrängt? Oder war es eher ein Traum vom „Ich“ her?

Vielleicht ging es Beckenbauer ja nur darum, seinen Freund Cruyff wiederzusehen, dessen Telefonnummer er angeblich nicht mehr hatte, obwohl er vor zwei Jahren versucht hatte, ihn als Trainer zu gewinnen? So viele Fragen – so wenig Antworten. Rehhagels Lieblingspoet würde sagen: „Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Erforschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren.“ Sei's, wie's sei: Am Internationalen Kampftag der Arbeiterklasse geht es weiter gegen Girondins Bordeaux. Wie immer zuerst zu Haus.

FC Barcelona: Busquets - Ferrer (82. Abelardo), Nadal, Sergi - Amor, Popescu, Bakero, Roger (76. Ivan) - Kodro (65. Cuellar), Jordi, Figo

Bayern München: Kahn - Helmer - Babbel, Kreuzer, Ziege - Hamann (74. Strunz), Scholl, Sforza, Nerlinger - Klinsmann, Witeczek (85. Papin)

Zuschauer: 115.000; Tore: 0:1 Babbel (39.), 0:2 Witeczek (84.), 1:2 Ivan (89.)