Dekolleté und Spitzenhäubchen

■ Roland Joffés Verfilmung von „Der scharlachrote Buchstabe“ – schwerster Fall von Etikettenschwindel

Im Jahre 1850 veröffentlicht Nathaniel Hawthorne „Der scharlachrote Buchstabe“ und begründet damit seinen Weltruhm. Der Roman spielt um 1665 im neuenglischen Salem. Am Pranger der puritanischen Gemeinde steht Hester Prynne mit einem Baby im Arm, auf ihrer Brust prangt ein scharlachrotes „A“ für „Adultery“, Ehebruch, obwohl ihr Ehemann für tot gehalten wird. Hester wird gedemütigt, weil sie sich weigert, Liebe als Sünde zu bekennen und den Namen des Kindsvaters preiszugeben – Pastor Dimmesdale. Hester fügt sich ihrer Umwelt nicht und wächst in den härtesten Prüfungen über sich hinaus. Unerwartet kehrt Roger Prynne zurück und siedelt sich unter fremdem Namen in Salem an. „Der scharlachrote Buchstabe“ erzählt Hesters Geschichte als Modellfall einer Entscheidung zwischen Herzens- und Kollektivnormen und deren tragische Folgen. Man höre, was Roland Joffé („Killing Fields“ oder „The Mission“) aus diesem Stoff gemacht hat.

Da ein Film mit historischem Stoff immer auch ein Film über die Gegenwart ist, wird niemand sklavische Werktreue von einer Literaturverfilmung erwarten. Emma Thompson hat mit „Sinn und Sinnlichkeit“ bewiesen, daß einem ein hundertfünfzig Jahre altes ländliches Gefühlsballett heute einiges zu sagen vermag. Demi Moore gibt nun vor, die Hester Prynne zu spielen, und es entbehrt keineswegs der Komik, wenn Moore nach all den Rollen und Skandalen voller Inbrunst Psalmen deklamiert. Doch wahres Mißtrauen gegenüber der aktuellen Auslegung von Hawthornes Roman stellt sich ein, als Moores beträchtlicher Busen (nach den ersten zehn Filmminuten und ohne ersichtlichen Anlaß) bei der Gartenarbeit aus der Bluse und so gut wie ins Beet fällt. Man fragt sich, ist dies eine Werbeveranstaltung für wonderbragestützte Implantate oder ein Film, der im 17. Jahrhundert unter Neuenglands Puritanern spielt?

Moore ist als Superdurchschnittsfrau ein wahr gewordener amerikanischer (Alp-)Traum: kein Charisma, kaum Talent, nicht einmal schön, das Ganze aber effektiv verzinst. Wen wundert's da, daß Moore ihren Abklatsch eines modernen Frauenbilds ganz einfach ins siebzehnte Jahrhundert exportiert und Hester zuschreibt. „Deine Stärke macht mir Angst“, sagt Pastor Dimmesdale zu Hester/ Demi. Uns auch, wenn auch aus anderen Gründen.

Der Titel von Nathaniel Hawthornes Novelle – nicht einmal die Novelle selbst – dient Regisseur Joffé und seiner Hauptdarstellerin nur als fadenscheiniges Alibi, um zu zeigen, was sie hauptsächlich beschäftigt: Demi Moore ihr nackter Hintern und ihre aufgespritzten Brüste samt erigierter Brustwarzen (alles feucht), Roland Joffé sein Hang zu billigen Softpornos. Wenn Moore schließlich den halboffenen Mund und ein Tränlein im Auge präsentiert, während sie mit dem als glutäugigen Pastor hoffnungslos fehlbesetzten Gary Oldman ins Heu stöhnt, will man Berufsverbot für alle Beteiligten fordern.

Vornehmlich für Roland Joffé, der es irgendwie geschafft hat, in Hawthornes wenig versöhnlicher Geschichte die Rettung der Familie unterzubringen. Hawthorne malt die alte Hester als eine sehr einsame, ungebrochene Frau, die „die Gewohnheit hatte, als freiwillige Schwester im Lande umherzuwandern, Gutes zu tun... Und in Herzensdingen Rat zu erteilen“ – der durchaus nicht immer erwünscht ist. Den scharlachroten Buchstaben trägt Hester bis zu ihrem Tode, obwohl dies niemand fordert. Roger Prynne hinterläßt ihrem Kind, das ja nicht seines ist, das größte Vermögen Neuenglands. „Der scharlachrote Buchstabe“ wurde bereits mehrmals verfilmt, einzig Joffé war die subtile Verhandlung von gehemmten und losgelassenen Begierden, Bestrafung und Selbstbestrafung wohl zu kompliziert und vor allem zu negativ.

Joffé endet seine Leichenfledderei mit Roger Prynnes Selbstmord und einem durch seine Intrige ausgelösten Überfall der Indianer auf Salem, der die Hinrichtung Hesters als Hexe verhindert. Tote, Tote und nochmals Tote, aber alles ist o.k., denn Hesters Wagen fährt hübsch langsam aus der verwüsteten Stadt, damit Pastor Dimmesdale noch rasch aufspringen und die glückliche Kernfamilie komplettieren kann.

Zum Schluß eine boshafte Vision aus der Mai-Ausgabe des US- Kinomagazins Premiere. Das Blatt hält Hawthornes Buch nach Ansicht von Joffés Verfilmung verwirrt für so etwas wie „Ein unmoralisches Angebot“ damaliger Zeiten und schlägt deshalb vor, dem Regisseur das scharlachrote „C“ für unglaubliche „Chuzpe“ an die Brust zu heften. Gewarnt wird vor weiteren Literaturverfilmungen durch Joffé/Moore. Man denke sich „,Moby Dick‘ rehabilitiert durch die Liebe eines jungen Burschen, wie in ,Free Willy‘. Baron Wronsky rettet ,Anna Karenina‘ vorm Zerquetschtwerden durch den einfahrenden Zug. Unbegrenzte Möglichkeiten.“ Anke Westphal

„Der scharlachrote Buchstabe“. Regie: Roland Joffé, nach dem gleichnamigen Roman von Nathaniel Hawthorne. Mit Demi Moore, Gary Oldman, Robert Duvall u.v.a. USA 1995, 120 Min.