KP-Funktionäre vor Gericht

■ In Albanien soll alten Apparatschiks der Prozeß wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemacht werden

Wien (taz) – In der albanischen Hauptstadt Tirana stehen seit Dienstag neun ehemalige Spitzenfunktionäre des kommunistischen Regimes „wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor Gericht. Die Anklage wird damit begründet, daß unter dem roten Diktator Enver Hoxha zwischen 1947 und 1989 etwa 400.000 Menschen in Straf- und Arbeitslager verbannt wurden – bei einer Bevölkerung von nur drei Millionen Einwohnern.

Gegen mindestens 35 weitere inhaftierte KP-Größen soll in den kommenden Wochen Anklage erhoben werden, darunter zum zweiten Mal gegen den Hoxha-Nachfolger Ramiz Alia, der bereits 1994 wegen Mitbeteiligung an Massendeportationen vor Gericht gestellt worden war. Er wurde damals aufgrund mangelnder Beweise wegen „persönlicher materieller Bereicherung“ nur zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt.

Auf den ersten Blick scheint es, als wolle Albanien mit seiner Vergangenheitsbewältigung ernst machen: Schon vor einem Jahr hatte das Parlament ein Gesetz verabschiedet, das ehemalige Funktionäre der kommunistischen Partei und des Geheimdienstes Sigurimi von gehobenen Positionen im Staatsdienst und der Justiz ausschließt. Bis zum Jahre 2002 sollen die alten Schergen in der Politik nicht mehr mitmischen können.

Das klingt plausibel für ein Land, in dem ein stalinistischer Unterdrückungsapparat noch bis Ende der 80er Jahre jede Veränderung im Keim erstickte. Hatte der Sozialismus Moskauer Prägung im übrigen Osteuropa 1989 seinen letzten Atemzug getan, so entledigten sich die Albaner ihrer KP- Garde erst im Herbst 1990. Dann dauerte es weitere eineinhalb Jahre bis eine freigewählte bürgerliche Regierung die in der Zwischenzeit zu Sozialisten mutierten Altkommunisten ablöste.

Seitdem bestimmt Sali Berisha, selbst Günstling des alten Regimes und ehemaliger Alia-Vertrauter, der sich jedoch in den Tagen des Umbruchs noch rechtzeitig zum Wendehals mauserte, in der Doppelfunktion als Vorsitzender der regierenden Demokratischen Partei und Staatspräsident allein die Geschicke des Landes.

Allerdings distanzierten sich in den vergangenen Jahren die meisten der ehemaligen Reformer und Kampfgefährten von ihrem eigenwilligen Präsidenten. Die Bevölkerung murrt seit langem über den rigorosen Sparkurs, der immer mehr Menschen in bittere Armut stürzt. In Albanien scheint sich zu wiederholen, was sich zuletzt mit der Abwahl des polnischen Präsidenten Lech Walesa vollzog: Die Demokraten werden für die Fehler der Vergangenheit verantwortlich gemacht. Die Wendesozialisten, als eigentliche Urheber der ausweglosen Misere aber sind, wie in Rumänien, Bulgarien oder Ungarn, die Nutznießer der verfahrenen Situation. Einigen Zeitungsumfragen zufolge ist Ramiz Alia derzeit populärer als Berisha. Und in fünf Wochen wird in Albanien ein neues Parlament gewählt. Karl Gersuny