„Niemals wieder“

■ In Auschwitz gedenken 5.000 junge Juden ihrer ermordeten Verwandten

Oswiecim (taz) – Jacques Stroumsa erklimmt das Holzpodium. Er zupft an den Saiten seiner Geige und läßt das Instrument wieder sinken. Aufmerksam sieht er die Barackenstraße entlang. Über 5.000 junge Juden machen sich zum „Abmarsch“ in das ehemalige Vernichtungslager Auschwitz II- Birkenau bereit. Sie sollen sich vorstellen, daß vor über 50 Jahren ihre Verwandten diesen Weg gegangen sind. Aus 38 Ländern sind die 15- bis 17jährigen zum Yom ha Shoa, dem Holocaust-Gedenktag, nach Polen gekommen. Alle tragen dieselbe Kleidung. Nur sind es keine Häftlingsanzüge, sondern blaue Windjacken und Rucksäcke mit weißem Davidstern. Über ihren Köpfen flattern Hunderte von israelischen Flaggen. Jacques Stroumsa spielt einige Töne. Das Hemd rutscht ihm über den Arm, und eine eintätowierte Zahl kommt zum Vorschein: 121097. Vor über fünfzig Jahren hatten die Nazis ihn, seine schwangere Frau Nora, seine Eltern und Geschwister aus Saloniki nach Auschwitz deportiert. Auf der Rampe verlor er Nora und die Eltern aus den Augen. „Mich rettete meine Geige“, sagt der heute 83jährige. „Ich war der erste Geiger im Lagerorchester in Birkenau. Jeden Tag mußte ich spielen, wenn die Häftlinge das Lager zur Arbeit verließen.“

Die jüdischen SchülerInnen marschieren durch das Tor „Arbeit macht frei“ am Parkplatz vor dem „Museum Auschwitz“ vorbei und durch das Gewerbegebiet, das vor dem ehemaligen Lager entstanden ist. Auf diesem Gelände befindet sich auch der Supermarkt, dessen Umbau unlängst einen Skandal hervorgerufen hat. Auch Stroumsa läuft die drei Kilometer bis zum ehemaligen Vernichtungslager Birkenau mit. Als die Gleisanlagen auftauchen, holen die ersten SchülerInnen Holztafeln aus ihren Rücksäcken, schreiben die Namen ihrer ermordeten Verwandten darauf oder nur einen Satz wie „Wir sind die Zukunft – Israel“ oder „We are proud of you“ und „Never again!“

Jossi Sarid, der israelische Umweltminister, erinnert an die polnischen Neonazis, die vor zehn Tagen und mit Genehmigung der Behörden in Auschwitz mit Hitlergruß posiert hatten: „Die polnische Regierung sowie die internationale Gemeinschaft müssen garantieren, daß die Faschisten des Jahres 1996, die die Tradition der alten Faschisten fortsetzen, diesen heiligen Ort nicht schänden.“

Als ein Kantor das Totengebet anstimmt, kriechen viele der 15- bis 17jährigen unter der Ruinenabsperrung des Krematoriums durch, stecken ihre Holztafeln in die Erde und beugen sich im Gebet gen Jerusalem. „Wenn ich mit der Schule fertig bin“, sagt ein 17jähriger Jude aus Antwerpen, „wandere ich sofort aus. Ich will für Israel kämpfen.“ Gabriele Lesser