Intimes von den Copepoden

■ Kaum beachtet, erforschen Oldenburger Wissenschaftler den Sex der Ruderfußkrebse: Homosexualität, Promiskuität und Jungfernzeugung.

Er schwingt sich zwischen ihren Furkalborsten hindurch und preßt dann seinen Bauch gegen ihren („69-er Position“). Dann spreizt er mit Hilfe seiner vorderen Schwimmbeine ihre Beine vom Körper weg, um ihre Geschlechtsöffnung freizulegen. Und im Höhepunkt klebt er ihr an die Begat-tungsöffnung ein kleines Samenpäckchen. Sex zwischen Ruderfußkrebsen – wer hätte das gedacht!?

Die Uni Oldenburg beherbergt eines der Zentren deutscher Ruderfußkrebs- oder Copepodenforschung. In der Arbeitsgruppe Zoomorphologie des Fachbereichs Biologie forschen Wissenschaftler mit zwei Videosystemen das intime Leben der Ruderfußkrebse aus. Es gibt 11.500 beschriebene Copepodenarten, ihre Verbreitung ist unvorstellbar groß. Die in der Regel knapp einen Millimeter großen Wirbellosen sitzen, salopp gesagt, „in jeder Pfütze“, ob in der Tiefsee, im Antarktiseis, im Süßwasser oder in den Wipfeln tropischer Bäume – und doch ist ihre Fortpflanzungsbiologie bis heute voller Rätsel. Erste Forschungsergebnisse präsentierte jetzt der Biologe Hans-Uwe Dahms einer interessierten Öffentlichkeit.

Das Triebleben der in Oldenburg untersuchten Copepodenarten weist eine ganze Reihe eklatanter Besonderheiten auf. So kennen die Ruderfußkrebse eine Phase, die vor der eigentlichen Kopulation liegt und von den Forschern „Verlobungsphase“ genannt wird. Die Männchen (übrigens immer erheblich kleiner als ihre Gefährtinnen), die offensichtlich ein großes Interesse daran haben, nicht betrogen zu werden, suchen sich noch nicht geschlechtsreife Weibchen aus und umklammern sie. Von dem Zeitpunkt an treten die beiden nur noch als sog. „Tandem“ auf. Irgendwann häutet sich das Weibchen, für das Männchen das sichere Zeichen der Geschlechtsreife. Nach der oben beschriebenen Paarung setzt das Männchen die Umklammerung noch eine Weile fort, um ein Fremdgehen auch ganz sicher zu unterbinden.

Treu sind nur die Ruderfußkrebsfrauen, jedenfalls meistens. Ihnen reicht eine einmalige Kopulation – die Samenzellen halten eine kleine Ewigkeit. Hat ein Mann den Eindruck, betrogen worden zu sein, kann er das Weibchen „auslöffeln“ und den Fremdsamen entfernen. Leider noch nicht hinreichend untersucht sind Populationen, die ausschließlich aus Weibchen bestehen. In der Forschung geht man von dem Phänomen der Jungfernzeugung (Parthenogenese) aus.

Wenn es (geschätzt) an die 25.000 Arten der Großgruppe Copepoden gibt, leuchtet schnell ein, daß man jede denkbare Verhaltensweise finden kann, wenn man nur genau genug hinschaut. Es gibt Arten, die bohren sich durch den Speck der Blauwale, Schmarotzer von 30 cm Länge; es gibt Arten, die leben drei Monate im antarktischen Eis und fallen für einen langen Winter in Starre; es gibt schräg Laufende und schräg rückwärts Laufende, manche bauen sich Wohnröhren, andere graben Algen aus. Die einen essen mit dem Mund, die anderen direkt mit dem Darm. Und selbstredend gibt es Homosexuelle unter ihnen und Polygame und Weibchen, die mit mehreren Samensäckchen behängt sind. Selbst Sex mit Minderjährigen kommt vor: Forscher fanden Sperma an Larven, den Copepoden-Kids.

Das öffentliche Interesse an den Copipoden ist sträflich gering und ebenso unberechtigt wie die verbreitete Nichtbeachtung der weltweit etwa 500 Copepodenforscher. Die kleinen Krebse machen nämlich – nur ein Beispiel – in den meisten Weltmeeren 90 Prozent des Planktons aus und stellen so die Basis ganzer Nahrungsketten dar. Außerdem benutzt man sie erfolgreich als „Zeigergesellschaften“ zum „Umwelt-Monitoring“: An ihrem Verhalten oder der Entwicklung ihrer Populationen kann man in vielen Fällen die Schädlichkeit von Umwelteinflüssen ablesen.

Die überaus liebenswürdige Weltgesellschaft der Copepodenforscher (eigenes Periodikum namens „Monoculus“) trifft sich just diesen Sommer in Oldenburg zum Dreijahrestreffen (nach Ottawa, London, Tokio und Baltimore). Die Organisation obliegt der AG Zoomorphologie, dem Alfred-Wegener-Institut und der WAC (World Association of Copepodologists). Es wird nicht nur um fischparasitäre Ruderfußkrebse gehen oder ihre Reproduktionsbiologie, sondern auch um Musik und gutes Essen, von den Kongreßteilnehmern selbst intoniert und angerührt. Das Motto der Copepodologen heißt nämlich: „Plaire et instruire“ – Lernen und Spaß haben!

Burkhard Straßmann