: Wird Potsdam kulturell zum Vorort?
Vage sind die Vorstellungen zur Kulturlandschaft im gemeinsamen Land. Unklarheiten über die künftige Rolle von Potsdam. Nirgendwo ist das Stadt-Land-Gefälle so groß wie bei der Kultur ■ Von Ulrich Clewing
Es bleibt alles beim alten. So jedenfalls lautete das Fazit einer Podiumsdiskussion vor wenigen Tagen zwischen dem brandenburgischen Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Steffen Reiche (SPD), und seinem Berliner Amtskollegen, Senator Peter Radunski (CDU), in der Akademie der Künste am Hanseatenweg. Thema des Abends: „Berlin-Brandenburg eine Kulturregion?“ Ob die beiden Politiker damit die „gigantische Verunsicherung der Bevölkerung“, die Reiche angesichts der möglichen Fusion von Berlin und Brandenburg ausgemacht hat, beseitigen konnten, darf allerdings getrost bezweifelt werden. Den Grund lieferte Kultursenator Radunski selbst: Der Politik, so der Berliner offenherzig, fehle es derzeit schlicht und ergreifend an Glaubwürdigkeit.
Andere haben da weniger Skrupel. Wenn Irana Rusta, kulturpolitische Sprecherin der SPD im Abgeordnetenhaus, in die Zukunft schaut, dann sieht sie blühende Landschaften: „Die Fusion ist eindeutig eine Chance für die Kultur in der Region.“ Zuversicht auch bei Radunskis Mitarbeiter Lutz Nebenlin: Vor allem das Berliner Umland werde von der Länderehe profitieren.
Leisere Töne schlägt Martin Gorholt, Sprecher des brandenburgischen Ministers Reiche, an. „Die Kultur ist von der Fusion nicht betroffen. Berlin wird das unumstrittene Zentrum bleiben, und auch für ein Theater in Cottbus oder ein Museum in Frankfurt an der Oder ändert sich nichts.“ Ohnehin gebe es bereits einige Kooperationen zwischen Berlin und Brandenburg, die Stiftung Schlösser und Gärten zum Beispiel, das Filmboard oder die Berlin-brandenburgische Akademie der Künste. Also alles halb so wild, das mit der Ländervereinigung?
Der Eindruck täuscht. Welche Folgen die Fusion für die Kulturszene tatsächlich haben wird, weiß heute noch niemand genau zu sagen. Grundsätzliche Vorbehalte gegen den vorliegenden Staatsvertrag hat daher Alice Ströver vom Berliner Bündnis 90/Die Grünen: „Außer einem Halbsatz in der Präambel enthält der Vertrag keinerlei offizielles Bekenntnis zur Kultur.“ Ströver will einen Nachschlag, und zwar in Form eines Landeskulturgesetzes, „damit sich die Politik in Zukunft nicht so einfach aus der Verantwortung stehlen kann“.
Uneins sind sich die Politiker auch in der Frage, welche Rolle Potsdam künftig einnehmen soll. Die einen meinen, die designierte Landeshauptstadt Potsdam brauche „mehr Repräsentation“. Dazu gehörten, sagt Martin Gorholt, ein Neubau für das Hans-Otto-Theater sowie die Herrichtung des Nicolai-Saales für Konzerte und Festveranstaltungen.
Uwe Lehmann-Brauns, kulturpolitischer Sprecher der Berliner CDU, sieht das ganz anders: „Die Bedeutung Potsdams liegt im Kleinteiligen, Historischen, Privaten.“ Es sei sinnlos, ein „Klein- Berlin“ vor den Toren der Hauptstadt installieren zu wollen. Thomas Flierl von der PDS wiederum findet solche Bestrebungen, Potsdam auf sein preußisches Erbe festzulegen, „fatal“. Die Stadt habe Einrichtungen wie ein eigenes Theater oder eine Ausstellungshalle für zeitgenössische Kunst dringend nötig, um nicht zum musealen Vorort von Berlin zu mutieren. Das Geld hierfür soll über den „Kulturgroschen“ hereinkommen, mit dem schon die verblichene DDR ihre kulturellen Einrichtungen versorgte.
Doch daß die verfassungsrechtlich anfechtbare Pflichtabgabe hilft, ist fraglich. Wahrscheinlicher ist, daß sich die Brandenburger die notwendigen Finanzen aus den Rippen schneiden müssen. Auf Hilfe aus Berlin werden sie zumindest nicht hoffen dürfen. „Der Kulturetat wird in den nächsten vier, fünf Jahren sicher nicht steigen“, warnt Lutz Nebelin vor eventuellen nachbarschaftlichen Ansprüchen.
Dabei sind die Aufgaben, die sich aus der Fusion ergeben, beachtlich. In keinem anderen Bereich ist das Stadt-Land-Gefälle so groß wie auf dem Gebiet von Kunst und Kultur. Die Berliner Kulturmacher mögen über fehlende finanzielle Mittel maulen, verglichen mit Brandenburg steht die künftige Bundeshauptstadt blendend da.
Die Zahlen sprechen für sich: 3,5 Millionen Menschen leben gegenwärtig in Berlin, rund eine Million mehr als im gesamten Land Brandenburg. 1,1 Milliarden Mark läßt sich die Stadt ihre Kultur in diesem Jahr kosten. Brandenburg gibt dafür 1996 nicht einmal ein Fünftel dieser Summe aus. Oder anders ausgedrückt: In Berlin beträgt der Kulturanteil am Gesamthaushalt zweieinhalb Prozent, auf dem platten Land liegt dieser Wert unter einem Prozent.
Zum Beispiel der Bereich Theater: Die einzige Bühne, die mit den großen Berliner Spielstätten konkurrieren kann, ist das Landestheater Cottbus, das mit 33 Millionen Mark pro Jahr bezuschußt wird. Bei den übrigen Theatern in Brandenburg, darunter neben vielen kleineren Bühnen das Kleist- Theater in Frankfurt/Oder, die Uckermärkischen Bühnen Schwedt, die Neue Bühne Schwedt, das Hans-Otto-Theater in Potsdam und das Brandenburger Theater in Brandenburg/Havel ist Schmalhans Küchenmeister. Ihnen stehen insgesamt 28 Millionen Mark zur Verfügung, dazu kommen noch einmal 23 Millionen von den Gemeinden. Unter dem Strich entspricht das in etwa dem Etat, den ein Haus wie die Berliner Staatsoper allein einstreicht. Noch ärger sieht die Situation der zahlreichen freien Theatergruppen aus. Sie können in diesem Jahr mit 1 Million Mark aus der brandenburgischen Landeskasse rechnen, Berlin ist die Szene mit gut 9 Millionen Mark pro Jahr ein Vielfaches teuerer.
Entsprechend vage sind die Vorstellungen, wie sich die zwei ungleichen Brüder zusammenraufen sollen. Wer mit wem zusammengeht und welche Institutionen in Zukunft von der Stadt Berlin, welche vom Land und welche vom Bund getragen werden, das müsse man sich, so heißt es aus der Berliner Kulturverwaltung, „erst im Detail angucken“. Das kann dauern: Frühestens in zwei Jahren, schätzt Nebelin, seien konkrete Angaben möglich.
Viele Fragen, wenig Antworten. Bestandssicherung ist angesagt. Einig sind sich die Kulturpolitiker lediglich in einem Punkt. Irana Rusta: „Die Institutionen brauchen eine moderne Verwaltungsform. Wir müssen Abschied nehmen vom starren Haushaltsrecht.“ Nach dem 5. Mai ist die Zeit, „unsere Schulaufgaben zu machen“.
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