Staubtrocken

■ Schamanen-Slang und geballte Fachkompetenz statt Lesbarkeit

Wie weit die Diskussion um die Legalisierung von Cannabis fortgeschritten ist, läßt sich nicht nur an der Anzahl von Publikationen ablesen, sondern auch an deren Inhalt. Von der einfachen Rausch- Rezension bis hin zur ethno-pharmakologischen Debatte erstreckt sich mittlerweile die Bandbreite der Themen. Jürgen Neumeyer, Koordinator des Arbeitskreises Drogenpolitik der Jusos, hat versucht, die Bereiche Medizin, Kultur und Politik zu bündeln, dabei aber leider die Lesbarkeit der Vollständigkeit geopfert.

Den Auftakt macht der Psychologe Hans-Georg Behr, der aus seiner Bücherwand einen wirren Aufsatz über „den Rausch und unser Bewußtsein“ extrahiert hat. Zitate wildernd zieht er durch die Literatur, dabei das Suchwort „Rausch“ immer fest im Hinterkopf. So spricht er von paradiesischen „Wiegottfrüchten“, wo bloß Hanf und Äpfel gemeint sind. Unter Behrs Textmarker haben sich wohl nicht nur die Seiten der Bibel gelb verfärbt, aber die besonders: Und siehe da, laut Mose war Noah der erste Besoffene, gefolgt von Lot, den seine Töchter „unter Sprit setzten, um von ihm geschwängert zu werden“. Kaum zurück aus Kanaan, zitiert Behr auch noch Spinoza. Der wußte schon vor 300 Jahren, daß „jede Religion ihr Rauschmittel hat“. Damit das auch umgekehrt hinhaut, versieht Behr seine kulturgeschichtliche Irrfahrt mit biblisch anmutenden Chiffren: „Wer da Moral gegen den Rausch schöpfen will, wird Brunnen fälschen müssen.“ Wer da fragt, was das heißen soll, wird auch durch weiterlesen nicht schlauer: „Unser schizophrener Umgang mit dem Rausch sagt viel über die Bedürfnisse der Menschen, dieser schwerkraftgebundenen Wesen..., die nichts so sehr fürchten, als davon zu fliegen, in des Wortes vollster Doppelbedeutung.“ Ist das noch ein philosophischer Annäherungsversuch oder schon der Schamanen-Slang eines Bekifften?

Laßt die Finger vom Joint und tragt lieber Latzhosen aus Flachs, lautet schon seit Jahren das Credo von Matthias Bröckers, dem Begründer des HanfHauses, das so ziemlich alle robusten Utensilien feilbietet, die sich aus THC-armen Faserhanf zwirbeln lassen. Vom Kreuzzug der amerikanischen Chemie- und Ölindustrie vor 60 Jahren gegen die „Mörderdroge“ bis hin zur Katholischen und Evangelischen Landjugend, die ihren Sonderstand auf der Grünen Woche 1995 in Berlin dem „Teufelskraut“ widmete, beschreibt Bröckers die Geschichte der Anti- Hanf-Bewegung. Auch die Verschnarchtheit der Legalisierungs- Aktivisten läßt er nicht unerwähnt: „Die Strategie, zuerst die Legalisierung von Haschisch durchzusetzen, um dann auch problemlos Faserhanf anzubauen, verschiebt die ökologische Nutzung von Hanf aufs nächste Jahrtausend.“

Doch allzu selten wird an der Kifferidylle gerüttelt, wird statt beifallheischender Bekennerfloskeln Entzauberung geboten. Etwa von Jörg Jenetzky, der in seinem Aufsatz „Haschisch macht gleichgültig, aber das ist mir egal...“, fast schon ketzerisch anmerkt, daß „Teile der Bielefelder Jungen Union ein leuchtendes Beispiel dafür sind, daß der Gebrauch von Cannabisprodukten nicht zwangsläufig zur Vernunft führen muß.“

Daß Neumeyer auch ohne Juso- Duktus kann, beweist er in der hübsch akribischen Gebrauchsanweisung zum Cannabisgenuß, in die einige Anekdötchen aus dem Kifferalltag Eingang gefunden haben: „Schon so mancher Brocken Haschisch ist die Kanalisation hinabgegangen, weil sich Bekannte des Abends an der Tür mit dem Ruf: ,Drogenfahndung, bitte aufmachen!‘ gemeldet haben.“

Der Großteil des Buches aber ist eine erschöpfende Aneinanderreihung von Paragraphen, medizinischen Versuchsauswertungen und kriminalistischer Statistik. Ein über weite Strecken trockenes Nachschlagewerk, bei dem die Qualität stark schwankt. Wie das bei Cannabis halt so ist. Oliver Gehrs

Jürgen Neumeyer (Hrsg.): „Cannabis“. Verlag Hans Schickert, 1996, 320 Seiten, 34 DM