Was ist am Ende legitim?

■ betr.: „Die alte Zeit ist vorbei“, „Legitim ist Israels Aktion nur in den Augen der USA“, „Kurze Zeit später gibt es Familie Jeha nicht mehr“, „,Früchte des Zorns‘ führen zum Exodus“, taz vom 15. 4. 96

Man muß den Terror und die Bekämpfung des Terrors als einen integralen Bestandteil der gegenwärtigen Realität im Nahen Osten erkennen, in dem es zwei Lager gibt. In dem einen Lager befinden sich die Anhänger des Friedens, das andere ist das Lager derjenigen, die mit iranischer Inspiration den Friedensprozeß torpedieren wollen. Zum letztgenannten gehört auch die Hisbollah, die seit langem mit iranischer Unterstützung Terror gegen die israelische Zivilbevölkerung ausübt und das alltägliche Leben des israelischen Volkes stört.

Seit dem Anti-Terror-Gipfel in Scharm-el-Scheich vor zwei Monaten haben sich die Katjuscha-Angriffe und Attacken der Hisbollah im Norden des Landes intensiviert. Israel hat sich mit großer Zurückhaltung bemüht, militärische Aktionen gegen die Hisbollah zu vermeiden und auf diplomatischem Wege eine Lösung herbeizuführen – leider vergeblich. Eine der elementaren Pflichten eines Staates ist es, für den Schutz seiner Bürger Sorge zu tragen, auch gegen Aggressoren – und genau das praktiziert Israels Regierung in diesen Tagen, indem sie gegen die Hisbollah vorgeht.

Mit Duldung der libanesischen Regierung operieren über das ganze Gebiet des Libanons verteilt Hisbollah-Terroristen, die sich in Ortschaften, in Wohngebäuden befinden und sich inmitten der Bevölkerung wie „Fische im Wasser“ bewegen. Eine der strengen Anweisungen der israelischen Armee lautet, ausschließlich gegen terroristische Stellungen vorzugehen. Israels Regierung forderte deswegen die libanesische Zivilbevölkerung auf, die Dörfer zeitweilig zu verlassen, keine Hisbollah-Fahrzeuge zu benutzen und sich von Stellungen und Bunkern der Hisbollah fernzuhalten.

Israel hatte und hat keinerlei Anspruch auf libanesisches Territorium. Die Sicherheitszone wurde seinerzeit errichtet, weil die libanesische Regierung nicht in der Lage war, die gegen Israel von südlibanesischem Gelände aus operierenden Hisbollah-Terroristen zu entwaffnen. Die libanesische Regierung kann nicht behaupten, daß ihre staatliche Souveränität verletzt wurde, solange sie selber ihre Souveränität nicht ausübt. Sie kommt ihrer internationalen Verantwortung nicht nach und sucht nicht zu verhindern, daß ihr Territorium als Basis für Aggressionen gegen Israel genutzt wird.

Für eine dauerhafte Lösung benötigt der Friedensprozeß keine Störungen, wie die Angriffe der Hisbollah gegen Israels Norden. Israels Anspruch jetzt und für die Zukunft lautet – sofortige Einstellung der Bombardierung israelischer Städte und Dörfer, Teile der israelischen Bevölkerung dürfen nicht mehr wie Geiseln von der Hisbollah benutzt werden, es darf keinerlei terroristische Handlungen mehr gegen Israel und seine Bevölkerung geben. Sobald diese Bedrohungen aufhören, wird Israel die militärischen Einsätze einstellen. Ilan Mor, Botschaftsrat,

Pressesprecher der Botschaft

des Staates Israel in Bonn

Folgenden Satz halte ich für groben und doktrinären Unfug: „Die islamische Widerstandsorganisation war die letzte Guerillatruppe, die Israel harte Schläge versetzte und der israelischen Vorherrschaft mit Erfolg arabische Unbeugsamkeit entgegenzusetzen hatte.“ Warum?

„Die alte Zeit ist vorbei“, weil endlich eine realistische Chance besteht, zwischen Israelis und Palästinensern zu einem dauerhaften Frieden zu kommen. Sie ist vorbei, weil in diesem Zusammenhang die prinzipielle Fähigkeit, „Israel harte Schläge zu versetzen“, aufhört, eine löbliche Eigenschaft zu sein (wenn sie es überhaupt jemals gewesen ist).

Die Raketenangriffe der Hisbollah auf Israel als Beispiel „arabischer Unbeugsamkeit“ zu feiern, ist revolutionärer Heldenmythos, aber kein klarer Gedanke. Jeder sich entfaltende Friedensprozeß ist eine Bedrohung aller Falken und Hardliner, ob jüdisch, arabisch oder nordirisch. Gruppierungen wie die Hisbollah leben in und von permanenten Ausnahmesituationen. Mit ihrem Angriff auf Israel retten sie nichts weiter als ihre eigene bedrohte Existenz als Kader (und nicht etwa die der Palästinenser oder Schiiten als Volk und religiöse Gruppierung) – durch eine wohlkalkulierte Provokation mit berechenbarem Ergebnis. Am libanesischen Flüchtlingselend ist Israel nicht schuldiger als die Hisbollah, die dieses Elends um der eigenen Legitimation willen bedarf und es darum kaltblütig vom Zaun gebrochen hat. Ingbert Jüdt, Karlsruhe

[...] Während Arafat versucht, die PLO statt zur Vernichtung Israels (siehe Statut) zur Anerkennung des Staates Israel zu bewegen, und die Hisbollah das Lebensrecht der Israelis durch Terror verneint, indem diese Organisation mit Unterstützung Irans – na, ist dort kein Staatsterrorismus? – einen Krieg gegen die Bevölkerung und gegen den Staat Israel führt, macht Ihr aus dieser Organisation eine Widerstandsorganisation und aus dem Staat Israel, der (leider) mit staatlicher Gewalt zurückschlägt, Staatsterroristen. Kein Wunder, wenn, wie im Golfkrieg, der wohl keinen Denkprozeß beim Kommentator ausgelöst hat (Augen zu und aussitzen!), wieder Übereinstimmungen in der Terminologie wie bei der Europäischen Arbeiterpartei/ .../ Solidarität zu finden sind. [...] Lothar Bembenek, Essenheim

Georg Baltissens Deutung der aktuellen Angriffe des israelischen Militärs gegen Stellungen und Heimatorte der Hisbollah im Südlibanon ist äußerst einfach: Israel hält einen Teil des Südlibanons unter Kontrolle. Das ist illegitim, gemessen an der Norm staatlicher Souveränität. Die Hisbollah leistet dagegen legitimen Widerstand. Klarer Fall: „Legitim ist Israels Aktion nur in den Augen der USA.“ Alle kennen dieses Stereotyp: Hier die bösen Imperialisten Israel und USA, dort die ihr Land zu Recht verteidigenden Guerilleros.

Dabei weiß Baltissen: Der libanesische Staat ist heute weder souverän im Innern noch nach außen. Die Hisbollah mit ihrem ethnisch- religiösen Integrismus ist im Innern Bürgerkriegsgefahr und macht die Zivilbevölkerung im Süden zur Geisel ihrer Strategie. Syrien und Iran dienen die Gotteskämpfer als Mittel für ihre Machtinteressen gegenüber Israel beziehungsweise in der arabischen Welt. Trotzdem ist der Hisbollah nach Baltissen „die Legitimität ihres Widerstandes nicht abzusprechen“. Ja selbst die „Legitimität des syrischen Vorgehens“, über Hisbollah Druck auf die Friedensgespräche mit Israel auszuüben, steht „nicht in Frage“. Legitimität bei Baltissen beschränkt sich auf territoriale Integrität und dient vor allem der moralischen Rechtfertigung seiner eigenen Stereotype. Was aber wüßte der Autor von der politischen Legitimität im Libanon oder in Syrien zu berichten?

Hier Angst vor neuem Bürgerkrieg, dort ein autokratischer Clan-Chef, der im eigenen Land den Widerstand von ethnisch-religiösen Minderheiten mit Panzern plattwalzt. Was ist am Ende legitim: Territoriale Souveränität als „Scholle“, auf der sich Diktatoren oder Gotteskämpfer tummeln, oder politische Legitimität, über die allein der demokratische Staat Israel in diesem Raum verfügt? Der Schutz der eigenen Bevölkerung ist die erste Zweckbestimmung eines legitimen Staates, gleich ob in oder außerhalb von Wahlkampfzeiten. Das ist der erste Grund israelischer Präsenz im Südlibanon.

Weder Libanon noch Syrien leisten dies für ihre Bürger. Schließlich: Nur politisch legitimierte Gemeinwesen haben langfristig Bestand. Israels gesamtes äußeres Umfeld ist noch immer politisch instabil. Die „Probe aufs Exempel“ eines israelischen Rückzugs unter diesen Bedingungen ist eine am mitteleuropäischen Schreibtisch erdachte fixe Idee. Der Autor sollte sie einmal den Menschen auf den Straßen und am Strand von Naharia ganz persönlich unterbreiten. Es besteht sogar die Chance, daß ihm dann in seiner Muttersprache eine nicht nur politsch, sondern auch historisch legitime Antwort erteilt wird. Martin Nagelschmidt, Berlin

[...] Es ist schon eine Unverschämtheit, wenn Georg Baltissen unterstellt, das Ziel der Hisbollah sei lediglich die Befreiung des Südlibanon. Das sagt nicht einmal Hisbollah selbst, um ihren Aktionen den Anschein von Legitimität zu geben. Das Ziel der Hisbollah ist es, den Friedensprozeß zwischen Palästinensern und Israelis anzuhalten. Die Hisbollah will den Frieden nicht – keinen Frieden, sie will den Krieg. Einen Krieg mit dem Endziel, Israel zu vernichten. Nicht mehr und nicht weniger. Vor gar nicht allzu langer Zeit war dies sogar noch das erklärte Ziel der PLO, die darin von einem Großteil der arabischen Welt unterstützt wurde. Nasser hat deutsche Faschisten zum Kampf gegen Zion nach Ägypten geholt. Jassir Arafat wollte die Juden dorthin zurückbringen, wo sie hergekommen sind – ins Meer. Ich schweige von Saddam Hussein oder Chomeini. Mit der Anerkennung des Staates Israel gibt es selbst bei friedenswilligen Palästinensern noch heute Schwierigkeiten.

Nicht mit einem Wort erwähnt die taz in dem ganzen Zusammenhang die unschuldigen Opfer auf israelischer Seite. Die Bombenattentate der Hisbollah werden als „arabische Unbeugsamkeit gegen die israelische Vorherrschaft“ im Nahen Osten gefeiert. Der Rest ist Bild-Zeitungsniveau – oder wie soll man den Artikel von Salim Yassine nennen? Ein Machwerk, das sich als Augenzeugenbericht gibt. Aber bei näherem Hinsehen verschwimmt alles. Der Reporter gibt die Herkunft seiner Informationen mit keiner Silbe zu erkennen, er recherchiert an entscheidenden Stellen nicht weiter etc. Und die Frage, ob es nicht problematisch sein könnte, daß die Hisbollah Krankenwagen zur Tarnung benutzt, fällt selbstredend nicht ein.

Um nicht mißverstanden zu werden: Ich finde es mehr als entsetzlich, wenn Kinder und Erwachsene, Zivilpersonen und Soldaten in diesem Krieg sterben oder verletzt werden. Aber wer die Fotos vom zerbombten Dresden benutzt, um damit die Schuld der Alliierten am Zweiten Weltkrieg zu beweisen, der solidarisiert sich mit den Nazis – so wie Ihr Euch mit den islamischen Terroristen solidarisiert.

Ich verstehe sehr gut, warum Ihr glaubt, Partei ergreifen zu müssen. Der unaufhaltsame Vereinnahmungsdrang der westlich-amerikanischen Hemisphäre stellt alle, die überhaupt in der Lage sind, Alternativen zu denken, vor eine harte Probe. Aber mit unsauberen Tricks und Bild-Zeitungsmethoden wird jede Parteinahme anrüchig. Kein Zweck rechtfertigt die Mittel. Gegen die große Lüge kann man nicht mit kleinen Lügen ankämpfen. Eugen Ruge, Berlin

Sagte irgend jemand, Soldaten wären Mörder? Nein, angesichts des Feuerzaubers über dem Libanon, welchen die israelische Armee gekonnt und virtuos darbietet, habe ich es erkannt: Soldaten sind Wahlkampfhelfer, denn schließlich will der Friedensnobelpreisträger Peres die bevorstehenden Wahlen in Israel gewinnen.

Angesichts dieses wahrhaftig feurigen Wahlkampfes und vor allem angesichts der Menschen, welche dafür sterben müssen, halte ich es für richtig, wenn Herr Peres den Friedensnobelpreis zurückgibt. Tut er dies nicht, so schlage ich vor, für den diesjährigen Friedensnobelpreis Herrn Boris Jelzin aufgrund seiner wirklich steinerweichenden – in Tschetschenien steht ja wohl kein heiles Haus mehr – Friedensbemühungen dortselbst oder Herrn Saddam Hussein, welcher sich so verdient um den inneren Frieden im Irak gemacht hat, daß dort kein Mensch mehr seine Meinung zu sagen wagt, zu nominieren. Kerstin Witt, Berlin