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Autorität, Ordnung, Gehorsam

Die Basis der italienischen Alleanza Nazeonale, Nachfolgerin der neofaschistischen MSI, ist wütend über die Führung: Die bleibt beim Bündnis mit Berlusconi, statt am Sonntag selbst zu kandidieren  ■ Aus Pontinia Werner Raith

Giancarlo, der Besitzer der Baustoffhandlung, wischt sich den Schweiß von der Stirn, schiebt ein Zementrohr in die Reihe zurück, richtet sich auf und fragt: „Also dann, übermorgen bei Fini, ehhi?“ Romolo, der Kunde, nickt, eher verlegen denn überzeugt, „Penso di si“, sagt er. Ich denke ja – eine Antwort, die mehr auf Nein denn auf Ja schließen läßt. Giancarlo wischt sich noch einmal über die Stirn: „Wir müssen hin, alle. Siehst du denn nicht, was die da anstellen? Zum erstenmal haben wir die Chance, wirklich die Macht zu kriegen, und jetzt zieren sich die wie die Jungfrau vor der Hochzeitsnacht. Glaub mir, diese Chance kriegen wir frühestens in 30 Jahren wieder. Da leb' ich nicht mehr und du auch nicht.“

Handzettel und eine Anzahl Schlagringe

Romolo, zwar ein Jahrzehnt jünger als der fast schon 60jährige Giancarlo, tritt von einem Bein aufs andere – Giancarlo hat in seinem Enthiusiasmus vergessen, daß der andere aus der christlichen Gewerkschaft CISL kommt, traditionell an die Democrazia cristiana gebunden, eher antifaschistisch eingestellt. Aber Giancarlo ist nicht mehr zu bremsen.

Es hat ihn gepackt, wie viele andere im Süden der römischen Region Lazium: Hier siedeln die Nachkommen ehemaliger Mussolini-Veteranen, seinerzeit zur Trockenlegung der Pontinischen Sümpfe eingesetzt und dann Landeigner geworden; zum erstenmal sehen sie sich nahe den Schalthebeln der Entscheidungsinstanzen. Doch nun bremst ausgerechnet ihr Hoffnungsträger Gianfranco Fini. „Der hat schon fast ein Verhalten wie früher die Linken“, urteilt Germano, Giancarlos Schwiegersohn, der im Reitstall hinter der Baustoffhandlung sein Pferd untergestellt hat und nun vorbeikommt, die Reise zur Fini-Kundgebung nach Rom zu organisieren: „Immer wenn die Linken drauf und dran waren, die Wahlen zu gewinnen, haben sie sich was einfallen lassen, daß sie sie doch noch verloren haben.“ Giancarlo kann das alles gar nicht witzig finden. Wütend malt er hinter das Transparent mit der Aufschrift „Vai, Fini, vai, al potere!!“ ein drittes Ausrufezeichen: Vorwärts, Fini, an die Macht!!!

Germano verstaut bedächtig sein Transparent, drei Kisten mit Handzetteln und, sicher ist sicher, auch eine Anzahl Schlagringe im Pferdetransporter: Die Gruppe hofft, eventuellen Polizeikontrollen zu entgehen, wenn das Pferd zum Fenster rausguckt. „Der Fini traut sich noch nicht“, sagt Romolo, „der ist noch zu jung, und er sieht halt auch, daß seine Partei noch viel zu sehr mit alten Haudraufs aus dem Movimento Sociale durchsetzt ist.“ Da hat er in Giancarlo freilich gerade den Richtigen vor sich: Der Movimento Sociale Italiano (MSI), die mittlerweile aufgelöste, zur Nationalen Allianz mutierte neofaschistische Partei, war schließlich insgeheim immer seine politische Heimat: „Verdammt noch mal, sollte er sich unterstehen und die rausschmeißen, kann er sich gleich trollen.“ Giancarlo gehört zu jenen, die die „demokratische Wende“ der Ultrarechten für ein rein taktisches Manöver halten und hoffen, daß Fini, die Macht einmal gewonnen, wieder zu den alten „Idealen des Fasci“ zurückkehrt, als da sind: Autorität, Autorität und noch mal Autorität. Oder auch Ordnung, Ordnung, Ordnung. Und: Gehorsam, Gehorsam, Gehorsam. Geradezu rituell verdreifacht Giancarlo seine Zauberparolen jedesmal, wenn er sie ausspricht. Die Jungen soll wieder arbeiten, nicht fixen, die Frauen sollen wieder gehorchen, nicht widersprechen, der Rat der Alten soll wieder etwas gelten, vor allem wenn sie im Laufe ihres Lebens zu „Gerarchi“ geworden sind, hohen Parteiführern, denen die Partei zutraut zu wissen, was gut ist fürs Volk.

Drolligerweise hält Giancarlo derlei alles für „echt demokratisch“. Und da erntet er auch allseitiges Kopfnicken, als er, in der Nachbarstadt Latina angekommen, weitere Organisatoren der Fini-Kundgebung abholt. „Wir sind die wirklichen Demokraten“, sagt Benito, der stolz den Vornamen Mussolinis trägt, „und wir sind Liberale.“ Also ganz anders als die Linken. Und auch anders als „dieser Berlusconi“, mit dem die nationale Allianz zwar verbündet ist, der aber „eigentlich“ von einer Seite kommt, die waschechte Neofaschisten schon per definitionem nicht leiden können, aus dem Großkapital. Und der soll nun wieder Ministerpräsident werden – auch wenn die Nationale Allianz gewinnt! Benito schüttelt ebenso heftig den Kopf wie Giancarlo. „Der hat doch schon in seiner ersten Regierung vor zwei Jahren gezeigt, daß er's nicht kann.“ Aber war da nicht die Nationale Allianz auch in der Regierung? „Ecco, appunto“, Benito hebt die Arme zum Himmel, wahrscheinlich um den verblichenen Duce anzuflehen: „Und welches waren die einzigen Minister, die sich überhaupt nie blamiert haben? Ecco: die der Alleanza nazionale.“

„Wir sind unbelastet, wir allein, allein wir“

Germano, der Spielverderber, hat schon wieder was zu mosern: „Sie haben sich nicht blamiert, gut, gut. Sie haben schlicht und einfach überhaupt nix getan.“ Giancarlo haut ihm mit der flachen Hand auf die Stirn: „Schwachkopf, hast du nicht kapiert, daß genau das der Trick war? Wir sind unbelastet, wir allein, allein wir.“ Germano verdrückt ein Stück Semmel mit Spanferkelfleisch dazwischen und versteckt dahinter sein Grinsen: Offenbar kann man mit solchen Sprüchen die Jungen doch nicht mehr ködern. „Aber gezeigt, ob sie was können, haben sie auch nicht!“ prustet er nach dem Hinunterwürgen seines Bissens. Die Diskussion muß vertagt werden: Das Pferd, das man zur Tarnung im Hänger mitgenommen hat, wird unruhig; vielleicht haben sie schon zuviel Propagandamaterial drumherum aufgeschichtet. Außerdem heißt der Hengst auch noch Wotan, er macht seinem Namen eben Ehre.

Giancarlo erregt sich bei der Weiterfahrt. „Der Fini ist ein guter Politiker, hätte man vor zehn Jahren, als ihn Almirante in den Sattel hob, gar nicht gedacht.“ Der „Kronprinz“ des bald nach seiner Abdankung gestorbenen Gründers des Movimento Sociale hatte es am Anfang tatsächlich nicht leicht – ein Jahr nach seiner Wahl zum Parteichef wurde er vom „linken“, dem proletarischen Flügel der Partei gestürzt, erst zwei Jahre und eine Wahlniederlage später kam er, noch immer nicht 40, wieder ins Amt. „Aber er soll sich nicht einbilden, er kann uns alles zumuten“, droht Giancarlo, und Benito stimmt dem zu: „Wenn er es diesmal nicht schafft, unsere Leute in alle wichtigen Ämter zu bringen, ist er weg.“

Giancarlo hofft, daß der Mann eben noch wächst. „Warum will er bloß nicht. Er geht doch überhaupt kein Risiko ein. Die Wirtschaftslage ist schlecht, kann nur besser werden. Keiner von uns muß ein Gerichtsverfahren wegen Korruption fürchten, auch hervorragend. Die meisten in der Führung sind altgediente Parlamentarier, die kennen sich im Machtapparat aus. Er hat doch alle Voraussetzungen.“

Doch Fini will offenbar wirklich nicht. Mit erkennbarem Entsetzen im Gesicht, nur schwach überdeckt durch seinen etwas verkrampft spöttisch verzogenen Mund, hat er vergangene Nacht in der Fernsehdebatte noch einmal wiederholt: „Unser Kandidat als Regierungschef ist und bleibt Berlusconi, gleich wie die internen Verhältnisse in unserem Bündnis stehen“ – will sagen, auch wenn, wie die meisten Prognosen behaupten, die Nationale Allianz deutlich vor der Forza Italia Berlusconis landet, wird Fini nicht selbst antreten. „Affentheater“, entfährt es Giancarlo erneut: „Die Sache wird dann so laufen, daß die unsere Leute in der Regierung kompromittieren, daß sie Fini verschleißen, und dann gute Nacht.“

Dennoch beginnen sich die Alt- Neu-Rechten mit dem Gedanken auseinanderzusetzen, daß ihnen der vermeintlich sichere Sieg doch noch abhanden kommt: Flüster- Umfragen geben derzeit ein Kopf- an-Kopf-Rennen der Mitte-Links- und der Rechts-Allianz: Dann stellt sich eine schwierige Koalitionsfrage, dann nämlich wird der oberitalienische Springteufel Umberto Bossi mit seiner sezessionistischen Liga Nord den Ausschlag geben. „Mit dem“, fährt Giancarlo auf, „nie!!!“

Kröte Bossi ein zweites Mal schlucken?

Bossi steht, mehr noch als alle Kommunisten zusammen, für alles Böse: Er will den Zentralstaat auflösen, für die Alleanza Nazionale so ziemlich das größtmögliche Sakrileg; 1994 hat er durch schlitzohrige Ausbeutung des Wahlbündnisses mit Berlusconi der Rechten die Stimmen gekostet, die man zum Alleinregieren gebraucht hätte; dann hat er Ende 1994 durch seinen Austritt die erste Rechtsregierung gestürzt und schließlich auch noch dafür gesorgt, daß es nicht sofort Neuwahlen gab, die die Rechte sicher gewonnen hätte. Germano grinst wieder: „Also lieber dann doch die Macht sausen lassen? Nicht lieber die Kröte ein zweites Mal schlucken?“

Giancarlo sieht bereits aus, als hätte er schon eine ganze Hundertschaft ekliger Vierbeiner hinuntergewürgt. Nein, er kann es nicht. Er gibt sich einen Ruck: „Wenn sie uns die Macht wieder nehmen, diesmal, wo wir so nah dran sind, dann bleibt nur noch eines ...“ Er greift in den Sack mit Flugblättern und zaubert einen ansehnlichen nägelbesetzten Schlagstock daraus hervor. „Dann müssen wir zurück in die alten Zeiten ...“

Täuscht der Eindruck, oder wäre ihm, dem 60jährigen, eine solche Lösung sowieso die liebste? „Demokratie“, sagt er, als er sein Transparent im Organisationsbüro abstellt und seine Unterschrift auf der „Militantenliste“ für die Kundgebung des übernächsten Tages einträgt, „Demokratie?“ Ein fast verächtlicher Zug kommt in das Wort, das er noch vor einer halben Stunde als das Markenzeichen seiner Rechten reklamiert hatte, als „echte“ Demokratie: „Demokratie? Wenn sie uns nicht legal hinlassen an die Macht, wozu brauch' ich dann die Demokratie?“

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