■ Entweder die Finanzministerin geht, oder die Koalition platzt: So setzt die SPD in Mecklenburg-Vorpommern ihren Koalitionspartner CDU unter Druck
: Koalitionskrise ultimativ

Entweder die Finanzministerin geht, oder die Koalition platzt: So setzt

die SPD in Mecklenburg-Vorpommern ihren Koalitionspartner CDU unter Druck

Koalitionskrise ultimativ

Am kommenden Montag, pünktlich um Mitternacht, ist Deadline für die Große Koalition in Mecklenburg-Vorpommern. Entweder die Finanzministerin Bärbel Kleedehn tritt bis dahin zurück, oder die Große Koalition ist beendet. Das beschlossen Schwerins Sozialdemokraten am Mittwoch abend auf einer Sitzung des SPD-Landesvorstandes. Am Montag abend tritt in Schwerin der Koalitionsausschuß von CDU und SPD zusammen, um über die Krise der Regierung zu beraten. Sollte Kleedehn bis dahin nicht zurückgetreten sein, wollen die Sozialdemokraten am darauffolgenden Dienstag einen Sonderparteitag einberufen, um über das weitere Vorgehen zu beraten. Neuwahlen wären in den Augen der SPD anschließend ebenso möglich wie eine SPD-Minderheitsregierung oder eine SPD-PDS-Koalition.

Die Krise in Mecklenburg-Vorpommern zieht sogar Kreise bis Bonn. Gestern morgen bestellte Helmut Kohl den Ministerpräsidenten Berndt Seite in sein Kanzleramt. Ob der Kanzler seinen Parteifreund mit Rücksicht auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat möglicherweise zu einem Bauernopfer überreden würde, blieb offen. Während im Schweriner Landtag alle auf ein Signal aus Bonn warteten, stellte sich die CDU-Fraktion in Schwerin geschlossen hinter ihre Finanzministerin. „Wir lassen uns nicht erpressen“, erklärte der CDU-Fraktionsvorsitzende Eckardt Rehberg.

Zur selben Zeit sprachen der SPD-Fraktionsvorsitzende Gottfried Timm und seine PDS-Kollegin Catarina Muth bereits über Modalitäten und Bedingungen eines konstruktiven Mißtrauensvotums. Sollten die Sozialdemokraten sich zu einem solchen Votum durchringen, so hat die PDS bereits ihre Unterstützung angeboten. Allerdings, so betonte Muth, will die PDS „nicht das Stimmvieh für die SPD“ sein.

In der Landespolitik stehen sich SPD und PDS schon jetzt vielfach wesentlich näher als CDU und SPD. Mehr als ein Jahr etwa quälte sich die Große Koalition mit dem jetzt vorliegenden Entwurf eines neuen Schulgesetzes. Das starre dreigliedrige Schulsystem konnte die SPD dabei nicht aufbrechen. Nur widerwillig schluckte die CDU wiederum die Gesamtschule als weitere Regelschule in Mecklenburg-Vorpommern. Gestern rückte die CDU bereits wieder von dem ausgehandelten Kompromiß ab und stellte ihre Zustimmung zu dem Schulgesetz in der Landtagssitzung der kommenden Woche in Frage.

Auch in der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik gibt es zahlreiche Anknüpfungspunkte für SPD und PDS, etwa bei der staatlichen Förderung von kleinen und mittleren Betrieben oder bei der Finanzierung des zweiten Arbeitsmarktes aus dem Landeshaushalt. Geht es um die Sanierung der ostdeutschen Werften, so sind sich SPD und PDS darin einig, daß eigentlich der Bund die Kosten übernehmen müßte. Bei den Werftenverhandlungen in Bonn hätte Harald Ringstorff vermutlich auch kein wesentlich anderes Ergebnis als die in der Kritik stehende Finanzministerin erzielen können. In Gesprächen mit der Treuhandnachfolgerin BvS hatte Wirtschaftsminister Ringstorff intern bereits eine Landesbeteiligung von 25 Prozent angeboten. Zu den 33 Prozent, denen die Finanzministerin zugestimmt hatte, bestand also nur eine Differenz von 90 Millionen Mark.

In der Verkehrspolitik hat sich die PDS als einzige Partei des Landtages bislang gegen den Bau der Küstenautobahn ausgesprochen. Für SPD und CDU hingegen ist die A20 das Kernstück ihrer Strukturpolitik. Einen relevanten Widerstand gegen die Autobahnpläne, auf den sich die PDS stützen könnte, gibt es jedoch in der Bevölkerung des Landes nicht. Über 90 Prozent der Mecklenburg-Vorpommerer sehnen sich mit der Betonpiste den Aufschwung herbei. Hinter vorgehaltener Hand räumen PDS-Politiker längst ein, daß an der Ostseeautobahn eine Zusammenarbeit zwischen SPD und PDS nicht scheitern würde.

Wer das schlechte Verhältnis zwischen CDU und SPD im nördlichen Bundesland verstehen will, muß bis in das Jahr 1990 zurückgehen. Nach den ersten Landtagswahlen sicherte ein SPD-Überläufer, der zuvor in Rostock für die Sozialdemokraten ein Direktmandat errungen hatte, der CDU-FDP-Koalition die Ein- Stimmen-Mehrheit. Schon damals wäre Harald Ringstorff gern Ministerpräsident geworden. Doch auch eineinhalb Jahre später, nach dem Rücktritt von Alfred Gomolka, gelang ihm nicht der Sprung auf den Chefsessel. In einer Kampfabstimmung gegen den heutigen Ministerpräsidenten Berndt Seite konnte sich der SPD- Vorsitzende noch nicht einmal auf die eigenen Parteifreunde verlassen. Seit dieser Zeit ist das Verhältnis zwischen SPD und CDU sowie zwischen Ministerpräsident Seite und seinem heutigen Wirtschaftsminister Ringstorff gestört. Beide gehen sich am liebsten aus dem Weg. Nur widerwillig, so macht es den Eindruck, reden sie miteinander.

In der Landesregierung fühlt sich die SPD permanent zurückgesetzt und pocht darauf, als gleichberechtigter Partner behandelt zu werden. Dabei lagen die Sozialdemokraten bei den letzten Landtagswahlen mit 29,5 Prozent der Wählerstimmen 8,2 Prozent hinter den Christdemokraten. Schon die erste Koalitionskrise im November vergangenen Jahres war durch Finanzministerin Kleedehn ausgelöst worden. Damals hatte sie, ohne den Koalitionspartner zu informieren, eine Haushaltssperre verhängt. Gemeinsam mit der PDS hatten die Sozialdemokraten daraufhin im Landtag die teilweise Aufhebung der Ausgabensperre gefordert.

Das Verhältnis von SPD-Ringstorff und PDS-Holter macht hingegen einen lockeren Eindruck. Schon in den letzten Monaten haben beide regelmäßig miteinander gesprochen. Am Montag dieser Woche erörterten sie in einem fast einstündigen Gespräch die aktuellen Probleme der Landespolitik.

PDS und SPD hätten im Landtag eine Mehrheit von 41 zu 30 Stimmen. Ob allerdings alle 23 SPD-Abgeordneten Harald Ringstorff bei einem konstruktiven Mißtrauensvotum folgen würden, ist nicht sicher. Vielleicht ändert der SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine ja noch etwas an diesen Unwägbarkeiten. Morgen kommt er anläßlich einer SPD-Regionalkonferenz in Stralsund zu einem lange geplanten Besuch nach Mecklenburg-Vorpommern. Da wird sicher etwas Zeit abfallen, um mit Ringstorff über die aktuelle Entwicklung in der Landespolitik zu reden. Christoph Seils