„Wir hatten den Himmel auf Erden“

■ Zum Volkshelden nicht geboren. 14 Jahre für Werder die Knochen hingehalten. Jetzt tritt der Lange ab. Ein Interview mit dem Fußballprofi Frank Neubarth.

iese Saison ist endgültig die letzte: Frank Neubarth tritt nach 14 Jahren als Profi bei Werder Bremen ab. Allerdings bleibt er dem als Jugendtrainer erhalten. In der ewigen Torschützenliste des Vereins liegt er mit 97 Toren auf dem ersten Platz gleichauf mit Rudi Völler; er war der „Mister Europacup“, hat wichtige Tore geschossen – und doch hat es nie zum Volkshelden Neubarth gereicht. Neubarth schien sich immer wieder der Öffentlichkeit zu entziehen. Die taz redete mit dem Profi über 14 Jahre Fußball an der Tabellenspitze, Otto Rehhagel, Aad de Mos, Dixie Dörner und den Starrummel.

taz: Sie waren 20 Jahre alt, als Sie zu Werder gekommen sind, und dann ging es ja auch gleich steil nach oben. War das eine gefährliche Phase? Man fühlt sich doch superwichtig.

Frank Neubarth: Es gibt sicherlich Typen, die haben dreimal in der Bundesliga gespielt und meinen dann, jetzt müßten sie nur noch mit „Sie“ angeredet werden. Die werden aber dann auch relativ schnell von der Mannschaft runtergeholt. Wenn da einer von den Jungen den dicken Max machen will, dann regelt sich das relativ schnell von alleine.

Wie haben Sie diesen relativ schnellen Aufstieg verkraftet?

Vor 14 Jahren war das ganz anders, viel ruhiger. Das Medienspektakel war nicht vergleichbar mit dem von heute. Ich war ohnehin ein bißchen ruhiger, und ich habe das nicht überbewertet. Und sicherlich war Otto Rehhagel auch wieder ein Typ, der einem geholfen hat und den Stellenwert des Fußballs klargemacht hat: Daß es schon wichtig ist, aber daß es eben auch anderes gibt, das wichtiger ist.

War es denn wichtig, was in der Hinterhand zu haben? Wenn morgen die Karriere aufhört, dann mach ich was anderes. Und was wäre das dann gewesen?

Ich habe mich damals entschieden, das einfach mal zu probieren. Ich war beim Probetraining in Stuttgart und in Kaiserslautern und beim HSV. Ich hatte gerade meinen Schulabschluß gemacht. Dann sollte ich zur Bundeswehr, da hatte ich auch keinen Bock drauf. Da habe ich gedacht, daß die Sportkompagnie ein gutes Los wäre. So kam es dann auch. Die zwei Jahre wären sowieso im Eimer gewesen: entweder bei der Bundeswehr oder beim Fußball. Und da war das schon eine Verbesserung.

Was wäre es denn gewesen, wenn es nicht Fußball gewesen wäre?

Weiß ich nicht. Ich könnte mir jetzt was ausdenken, aber die Wahrheit ist: Ich hatte mich damals überhaupt noch nicht festgelegt.

Und was wäre es jetzt, wenn es nicht Jugendtrainer wäre?

Habe ich auch schon überlegt. Aber es war schon klar, daß ich im Fußballgeschäft bleibe. Ich bin jetzt seit einigen Jahren nebenbei Jugendtrainer, und da kann ich ganz gut meine Erfahrungen weitergeben.

Man guckt ins Archiv, man liest von der ewigen Torschützenliste – und es drängt sich der Eindruck auf: Frank Neubarth war nie ein Volksheld. Keine Home-Story, keine privaten Geschichtchen in der Zeitung. Liegt das an den Journalisten, die es nie versucht haben, oder liegt das an Frank Neubarth, der immer Distanz zum Geschäft gehalten hat?

Das lag nicht an den Journalisten, die haben das schon probiert. Ich fand die Distanz eigentlich immer ganz gut. Damit bin ich gut gefahren. Dafür habe ich dann allerdings auch nie so ein Volkshelden-Image aufbauen können. Nicht wie andere, die sich in der Öffentlichkeit präsentiert haben, mit dem einen oder anderen Journalisten Golf spielen oder sonstwas durchstecken – da kommst du natürlich besser weg, sowohl in der Presse als auch beim Publikum. Das war mir auch klar, aber das bin dann auch ich gewesen, und ich muß mich nicht verkaufen und rumschleimen. In diesen 14 Jahren sind hier so einige ein- und ausgegangen, wo ich sage: Nee, du hast es doch richtig gemacht. Du kannst jeden Morgen in den Spiegel kucken und sagen, du hast dich nicht verkauft.

Am Anfang der Saison gab es Pfiffe gegen Sie, wenn Sie mal nicht so überzeugend gespielt haben. Wie empfindet das einer, der vierzehn Jahre für den Verein geackert hat. Sie sagen: Das war ich, lieber Distanz halten, lieber nicht verkaufen. Zahlt man nicht auch einen Preis für die Sprödigkeit?

Man darf da zwei Sachen nicht vermischen. Ich habe Distanz zur Presse gehalten, aber nicht zum Publikum. Das Image ist irgendwann mal aufgekommen, aber ich bin immer gerne zu Autogrammstunden gegangen, zu Jugendturnieren, zu Weihnachtsfeiern der Fanclubs. Wenn ich mit den Leuten im Gespräch bin, dann habe ich überhaupt keine Probleme. Andere, die in der Öffentlichkeit als Volkshelden abgefeiert werden, die haben nicht eine Autogrammkarte beantwortet, sondern die Post weggeschmissen. Ich kann sagen: Ich habe immer geantwortet.

Mir hat das schon am Anfang der Saison wehgetan. Da denkst du schon, es hätte anders kommen können. Andererseits fällt es mir in diesem Jahr wieder relativ leicht, sowas wegzustecken. Am Ende der Saison ist Schluß.

Wenn man über Frank Neubarth nachliest, dann kommt immer wieder das Klischee vom Abi-turienten – wobei das ja nun wirklich keine Ausnahme in der Liga mehr ist. Wie ist es, wenn man 14 Jahre nur Fußball spielt, verblödet man nicht mit der Zeit?

Die Gefahr besteht. Aber: Fußball hat sich in den letzten Jahren enorm entwickelt. Nicht nur der Fußball selber, vor allem das Drumrum. Der Fußball boomt, die Medienlandschaft wird größer, du wirst viel mehr auch außerhalb des Platzes gefordert. Wenn du ein ganz Großer werden willst, dann mußt du dich außerhalb auch präsentieren können. Es reicht nicht, als Holzkopf durch die Gegend zu laufen und dumme Sprüche abzusondern.

Gab es nie den Gedanken, mal die Stadt zu wechseln? Oder sind Sie in Bremen so verwurzelt?

1987 gab es das Angebot von Bayern. Das war natürlich für das Selbstbewußtsein schön und finanziell auch. Du fängst hier an mit einem kleinen Gehalt, und dann gibt es immer drei Mark siebzig mehr. Richtige Kohle verdienst du nur, wenn du den Verein wechselst – oder ein Angebot von Bayern hast.

Aber wir hatten unter Otto Rehhagel den Himmel auf Erden. Wir hatten sportlich alles erreicht und die Atmosphäre war super. München ist schon von der Medienlandschaft ganz anders, das muß Herr Rehhagel auch erfahren. Elf Freunde sind wir hier auch nicht gewesen, aber eine Gemeinschaft.

Aber mal von Rehhagel und Werder abgesehen: Gab es nie den Impuls, mal wegzugehen?

Daß ich hier hängengeblieben bin, das hat natürlich auch was mit der sportlichen Seite zu tun. Meine Art zu spielen wurde von den Medien und den Zuschauern nie so uneingeschränkt anerkannt. Klar war es nur in der Phase, als ich pro Saison 20 Tore gemacht habe. Das waren ein paar Jahre, die ich mal außer Kritik war. Doch ich wußte bei Otto Rehhagel, daß er hinter mir steht und mich auch bringt. Was nützt es mir, wenn ich in einer tollen Stadt bin, aber nicht spielen kann.

Hat Rehhagel doch recht, daß die Journalisten keine Ahnung haben, wie eine Mannschaft funktioniert, welche Typen man auf dem Platz braucht, um flexibel spielen zu können?

Solche von meiner Sorte gibt es ja immer wieder. Früher Dieter Hoeneß, heute Olaf Bodden – die sind auch immer in der Kritik, wenn sie keine Tore machen. Die brauchen nur ein, zweimal schlecht zu spielen oder mal übern Ball hauen. Bei 1,93 Meter sieht das eben nicht so formschön aus, als wenn einer mit einssiebzig über den Ball haut. Die wenigsten Journalisten kommen vom Sport oder haben selbst mal hoch gespielt. Da kommt ruck zuck so ein Bild zustande. Und wenn dann die Mannschaft schlecht spielt, dann kommt der Trainer in die Diskussion, und dann geht das Geschrei ganz schnell los: Was bringst Du immer den Langen, den Blinden. Die wenigsten Trainer haben so eine Stellung wie Otto Rehhagel.

Was war denn eigentlich so schlimm an Rehhagels Nachfolger? Man konnte immer lesen, daß einzelne Spieler vor versammelter Mannschaft zusammengefaltet worden sind. Wo hat es gehakt? Den Fachverstand hat de Mos niemand abgesprochen.

Das nicht, er hat sich viel mit Fußball beschäftigt. Nur die Umsetzung ist eben der Knackpunkt. Ideen hat jeder mal, nur konnte er die nie vermitteln. Der zwischenmenschliche Bereich war unter de Mos eine einzige Katastrophe, und er hat nicht geguckt, was für Leute er hat, mit denen er sein System überhaupt spielen kann. Er hat sein System unbedingt durchdrücken wollen, auf Biegen und Brechen.

Was hat sich denn mit dem Trainerwechsel von de Mos auf Dörner geändert?

Vor allem die Atmosphäre. Ich war zu dem Zeitpunkt nicht da, weil ich den Trainerschein gemacht habe. Ich habe es nur gehört, daß da bei der Mannschaft fast die Sektkorken geflogen sind, die Spieler lagen sich nur in den Armen. Das zeigt schon, wo der Knackpunkt war.

Die Mannschaft hat wieder Lust auf Fußball.

Ja, wir sind wieder zum Training gegangen und haben gelacht, und wir haben uns gefreut. Das hat einfach wieder Spaß gemacht. Wenn das fehlt, dann kannst du es auch bei Profis, die soundsoviel tausend Mark verdienen, vergessen.

Das Gemeinschaftsgefühl hatte uns über die Jahre auch immer ausgezeichnet. Aad de Mos hat Ersatzspieler und Stammspieler getrennt, zum Essen durften die nicht mitkommen, wer nicht im Kader war, der mußte beim Training in der Ecke spielen, die anderen haben ihr Trainigsspiel gemacht – das sind alles Kleinigkeiten. Das war ganz schlimm.

Was ist der Dörner für einer? Kann man den mit Rehhagel vergleichen?

Rehhagel war eher impulsiv. Dörner wird auch schon mal auf der Bank sauer und schreit rum, aber er ist eher ein ruhiger Typ. Das ist keiner, der Spektakel für die Öffentlichkeit macht. Nicht so wie Stepanovic, aber deshalb hoffe ich und gönne ihm auch, daß er Erfolg hat.

Stimmt es denn, daß die Mannschaft eine richtige Trainer-Wunschliste hatte?

Es gab eine Negativ-Liste.

Wen Ihr alles nicht haben wollt?

Genau.

Stepanovic.

Der war auch dabei.

Hat denn die Mannschaft viel zu melden in so einer Situation?

Eigentlich nicht. Wenn wir sagen, daß wir den oder den überhaupt nicht haben wollen, weil wir mit dem nicht können, dann vielleicht. Aber der Verein hat sich für Dörner entschieden und uns dann informiert. Mehr hat die Mannschaft in so einer Situatuion nicht zu melden.

Fragen: Jochen Grabler