Innovation per Computer und Fischertechnik

■ Den Bildschirm im Rücken revolutionieren Bremer Forscher die Computerwelt/ „Wir wollen daten so übertragen, daß sie einen Sinn bekommen“.

„Zunehmend sitzen Forscher, die sich mit Menschen befassen, hinter Maschinen.“

Der Bremer Informatikprofessor Professor Friedrich Wilhelm Bruns zieht aus seiner Beobachtung Konsequenzen: Er kehrt dem Bildschirm den Rücken. Trotzdem arbeitet er mit dem Rechner.

Was für die durchschnittliche PC-Anwenderin einigermaßen ungewöhnlich klingt, gilt auch in der Branche der Software-Entwicklung noch als Besonderheit. Denn wenn Bruns in seinem Labor mit den Händen Bauklötzchen über Tische schiebt, die eigentlich Paletten darstellen, die über Forderbänder gleiten, hat er nur eins im Sinn: Wie kriegt er den Bewegungsablauf am besten in den Computer übertragen – ohne sich dabei auf erfundene Realitäten einzulassen und ohne sich zum Knecht der Maschine zu machen? „Der Rechner soll menschenorientiert arbeiten“, sagt Bruns.

Im Forschungsinstitut Arbeit, Technik und Umwelt (ARTEC) analysiert man Arbeitsprozesse. So entstand das Projekt, für das Bruns Bauklötzchen schiebt – um die Realität so echt wie möglich als Modell in den Computer zu bannen.

Was nach Kinderspiel klingt, wird in der Forscherwelt hoch beachtet: Die Idee, Bewegungsabläufe aus der Arbeitswelt, noch während sie stattfinden, zeitgleich in den Computer zu holen, ist nicht gewöhnlich. Dafür stellt sogar die Deutsche Forschungsgesellschaft (DFG) Geld zur Verfügung. Um ihre Arbeit zu zeigen, werden die Bremer ForscherInnen in der kommenden Woche auch auf der Hannover-Messe ausstellen – und demnächst sogar zu einem internationalen Symposium nach Dallas Texas reisen.

Insgesamt soll das Vorhaben, aus menschlichen Bewegungen den Prototyp eines neuen Computerprogramms zu entwickeln, den Menschen nützen: Mit der entsprechenden Software könnte man Waren- und Menschenströme in einer großen Produktionshalle, in einer Verladezentrale oder in einem Flughafen beispielsweise, wunderbar auf dem Bildschirm simulieren. In Minutengeschwindigkeit, so der ultimative Forscher-Traum, würde man auf dem Bildschirm Schwachstellen im Modell erkennen – und mit Hilfe des Rechners Risiken kalkulieren können. Wo im Containerterminal etwa statt des LKWs das Fließband eingebaut werden soll, um die Sicherheit der Arbeiter zu gewährleisten, oder um den Warenumschlag zu erhöhen, sowas wäre leicht zu entscheiden.

Mit solchen Fragen wenden sich Unternehmen nämlich an die Experten der Universität: Wie soll ein Terminal aufgebaut sein, wo den ganzen Tag Container umgeschlagen werden? Wo liegen die Schwachstellen in solch einem Großprojekt, wo ständig Ladungen auf verschiedenen Gleisen rein und rausrollt, wo alles effektiv, schnell und sicher ablaufen soll? Welches Systeme, Gleis oder LKW, menschbetrieben oder vollautomatisch, soll man wählen?

Den Stahlwerken, der Bremer Lagerhausgesellschaft, Siemens und der Bremer Straßenbahn AG haben der Informatikprofesor und seine MitarbeiterInnen-Crew aus InformatikerInnen, PsychologInnen und SoziologInnen schon in die Lagerhallen geguckt.

Bisher haben sie Antworten auf Unternehmensfragen jedoch vor allem auf traditionelle Art ausgelotet: Sie bauten dafür Modelle nach, entwickelten Rechnungen und Tabellen und sprachen mit ArbeitsplanerInnen, Unternehmensleitung und PersonalvertreterInnen. Das erklärte Ziel des Instituts lautet: Betriebswirtschaftler sollen am Ende ebenso zufrieden sein wie Arbeiter und Angestellte.

Bald soll das alles einfacher gehen: Man zieht einen Sensor-Handschuh an, der die Bewegungen in den Computer „beamt“, anschließend kann daraus ein Modell gefertigt werden, mit dem man alles mögliche im Experiment erforscht. Dann wäre die Antwort auf die Frage nach der effektivesten und besten Betriebsstruktur im wahrsten Sinne auch einfacher zu durchschauen: Der Blick auf den Bildschirm sei den Menschen vertrauter als der Umgang mit komplizierten Diagrammen, mit denen man sich bisher behelfen mußte, erklären die die Forscher. Deshalb sind sie auf ihre Arbeit besonders stolz: „Wir bauen Herrschaftswissen ab“, sagt Friedrich-Wilhelm Bruns. Jeder könne dese Modelle verstehen und nachvollziehen. Allerdings habe die Sache auch einen Haken, fügt er hinzu: „Ein virtueller Unfall tut ja nicht weh“. Ohne die Bewertung durch die Betroffenen in den Werkshallen funktioniere deshalb auch sein neues Modell schlecht.

Noch steckt das Forschungsexperiment an der Bremer Uni in der Anfangsphase. Vor ein paar Wochen wurden noch Bauklötzchen geschoben, belud der Fischertechnik-Kran noch den Spielzeug-LKW. Dann brummte die Ladung – als kleiner Bauklotz, per Sensor-Handschuh geschoben auf's Fließband – und ab ging die Fahrt Richtung Bahnwaggon - und zugleich in den Computer. „Wir bauen Brücken zwischen dem Konkreten und dem Virtuellen“, sagt Bruns.

Man baut noch mehr: Mittlerweile ist das erste kleine Modell-Fließband entwickelt, das seine eigenen Bewegungen direkt in den Rechner überträgt. Bruns und sein Team kommen ihrem Ziel in schnellen Schritten näher: Indem sie ganz handwerklich und sinnlich mit Würfeln und Fließbändern so arbeiten, wie sie es für „menschlich“ halten, bringen sie zugleich die Innovation in der Informatik voran.

„Unser Modell soll Daten am Ende so übertragen, daß sie einen Sinn bekommen“, sagen Bruns und sein Forschungskollege Brauer. Damit scheinen sie gut zu liegen: „Ständig werden bei mir Leute abgeworben“, sagt Professor Bruns. Zukunftsprobleme gebe es in seinem Bereich nicht. ede