Dicke Luft - und keiner weiß, warum

■ Eigentlich haben wir die Klimatechnik voll im Griff - behaupten Fachleute. Doch das Sick Building Syndrom bleibt ungeklärt: Liegt's an den Klimaanlagen, falschen Werkstoffen oder an der Psyche?

„In der Luft schwirren 8.000 verschiedene Stoffe herum, die Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen haben könnten“, sagt Rainer Lochau, Professor für Heizungs- und Klimatechnik an der Technischen Fachhochschule Berlin. So ist es kein Wunder, daß im Büro oft nicht nur dann „dicke Luft“ herrscht, wenn der Chef oder die Chefin schlechte Laune haben.

Schon seit längerer Zeit beschäftigt sich die Wissenschaft mit dem Wohlbefinden von Menschen in klimatisierten Räumen. Die Studie des Münchner Mediziners Kroeling vor etwa zehn Jahren hat hinsichtlich der verstärkten Beachtung dieses Problems einiges ausgelöst. „In dieser Studie untersuchte er sehr umfassend die Gesundheits- und Befindensstörungen von Menschen in klimatisierten Gebäuden“, erläutert Lochau. Ergebnis: Nicht nur thermische Faktoren wie Temperatur, Feuchte und Strömung der Luft sorgen für das menschliche Wohlbefinden. Es gibt eine Vielzahl weiterer Faktoren, die wichtig sind für eine gute Raumluft.

Oft fühlen sich Menschen in klimatisierten Räumen nicht wohl: Meist können sie aber nicht genau erklären, warum ihnen unwohl ist. In diesem Zusammenhang wird der medizinische Begriff Sick Building Syndrom verwendet. „Dieses Unwohlsein ist häufig nicht mit einer einfachen Ursache-Wirkungskette zu erklären. Man spricht dann vom Sick Building Syndrom, wenn man nicht genau weiß: was spielt sich hier ab?“ sagt Hans- Günter Kind, Leiter der Abteilung Fachtechnik bei der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen. Das Wohlbefinden von Menschen in klimatisierten Räumen ist im wesentlichen von drei Komponenten abhängig: dem thermischen Raumklima, dem akkustischen Raumklima und der Luftqualität. Oft verantwortlich gemacht für schlechte Raumluftwerte wird die Klimaanlage. „An drei Vierteln aller Fälle von Befindensstörungen ist die Raumlufttechnik beteiligt“, sagt Kind. „Und wenn die Raumlufttechnik daran beteiligt ist, liegt es fast immer daran, daß die Anlage unzureichend gewartet wird.“

Prinzipiell kann man mit einer Klimaanlage zu jeder Jahreszeit das gewünschte Raumklima herstellen. „Man kann jedoch kein Raumklima schaffen, mit dem alle Menschen zufrieden sind“, erläutert Lochau. „Wenn nur zehn Prozent oder weniger unzufrieden sind, kann man von einer high-quality-Anlage sprechen.“ In der Vergangenheit sei in Untersuchungen festgestellt worden, daß klimatisierte Gebäude häufig schlechter abgeschnitten hätten als Gebäude mit einer konventionellen Heizungsanlage. „In manchen Büros lag die Unzufriedenheitsrate bei 50 Prozent, der Krankheitsstand bei rund 20 Prozent.“

Das thermische und akustische Raumklima hätten die Heizungs- und Klimatechniker jedoch recht gut im Griff. „Was die richtige Temperatur und die akkzeptable Zugbelästigung angeht, darüber wissen wir gut Bescheid. Auch die Befindensstörungen durch Infraschall haben wir unter Kontrolle“, sagt Lochau. Hauptsächlich bei älteren Anlagen spielten Geräusch- und Zugbelästigung eine Rolle. Das größte Problem sei die Luftqualität selbst. „Nach Untersuchungen war man total schockiert: Bereits in der Außenluft war die Konzentration mit Schadstoffen schon höher, als man sie später im Raum haben wollte.“

Die Geruchsbeeinträchtigung durch Emissionen ist das größte Problem. Viele Emissionen können aus der Klimaanlage selbst kommen. „Gerade wenn die Anlage nicht ordnungsgemäß gewartet wird, können sich beispielsweise sowohl im Befeuchter als auch im Filter ungewünschte Mikroorganismen vermehren, die dann über die Anlage im Raum verteilt werden“, sagt Senatsmitarbeiter Kind. Aber auch die Menschen selbst tragen mit einem nicht unerheblichen Teil mit ihren körpereigenen Ausdünstungen und ihrem Sauerstoffverbrauch zur Innenraum-Luftverunreinigung bei. „Der Kohlendioxidgehalt ist ein guter Maßstab für die Beurteilung der Luftqualität in Aufenthaltsräumen“, erläutert Kind.

Besonders problematisch sei auch die Ausdünstung aus den im Raum verarbeiteten Werkstoffen: „Vor einigen Jahren hat man ja die Formaldehydausdünstungen aus Preßspanplatten als Ursache für massive Befindlichkeitsstörungen und Gesundheitsbeeinträchtigungen ausmachen können. So konnte man dieses Problem dann auch angehen.“ Bei vielen Werkstoffen wisse man jedoch noch gar nicht genug bezüglich ihrer möglicherweise gesundheitsbeeinträchtigten Auswirkungen.

„In Untersuchungen hat man festgestellt, daß die Beschwerderaten über die Klimaanlage mit der Position des jeweiligen Mitarbeiters in Zusammenhang stehen“, sagt Thomas Spiess, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Heizungs- und Klimatechnik der Technischen Universität Berlin (TU). So sei die Beschwerderate von Leuten, die in niedrigeren Positionen arbeiteten, deutlich höher als die von Menschen in gehobenen Positionen. Dieser Umstand geht nicht auf Kosten der Klimaanlagen.

Nach 25 Jahren ist eine Klimaanlage normalerweise sanierungsbedürftig. „Nach einem solchen Zeitraum muß die Anlage generalüberholt werden“, sagt Spiess. Er ist der Überzeugung, daß die Benutzer eine wirklich durchdachte und nach dem neuesten Stand der Technik konstruierte Anlage gar nicht bemerken. „Das größte Problem heute jedoch ist, daß der Bau eines Hauses nur noch vom Preis bestimmt ist. Da wird dann an den falschen Stellen gespart, beispielsweise an der Klimaanlage.“ Vor allen Dingen die richtige und fachgerechte Inbetriebnahme und Einregulierung einer Klimaanlage ist für ihr späteres Funktionieren ausgesprochen wichtig. Spiess: „Dafür sind Fachleute notwendig. Es gibt immer noch Bauherren, die gerade an diesem Punkt meinen, Kosten einsparen zu können. Das geht dann aber meist nach hinten los.“ Volker Wartmann