■ Taugt die Kontroverse um die Vereinigung von KPD und SPD als Abgrenzungskriterium zwischen SPD und PDS?: Landschaft nach der Schlacht
Kein Zweifel, diesen Fight gegen die PDS konnten die Sozialdemokraten gar nicht verlieren. In der Auseinandersetzung um den Charakter der Fusion von SPD und KPD zur Sozialistischen Einheitspartei vor genau 50 Jahren hatte die SPD einfach die besseren Karten. Diese Fusion war eben doch genau das, als was sie Gustav Dahrendorf, selbst ursprünglich einer der feurigsten Anhänger der Einheit, im Frühjahr 1946 bezeichnete: eine Zwangsvereinigung.
Dokumente wie Zeugnisse beweisen, daß nicht nur im Auge des Orkans, in Berlin, sondern auch in der Provinz, in der sowjetischen Besatzungszone, Drohung, Einschüchterung und Bestechung die hauptsächlichen Instrumente waren, mit deren Hilfe die sozialdemokratischen Parteimitglieder für das Projekt der SED gewonnen wurden. Es ist, entgegen der Meinung vieler der PDS nahestehender Historiker, nicht nur legitim, sondern notwendig, ein solches Urteil zu fällen. Das hat nichts mit Pauschalisierung oder mit einer demagogischen Betrachtungsweise zu tun, die diese Geschichte von ihrem Endpunkt, dem Jahr 1989 her, aufrollte. Es handelt sich einfach nur darum, der Wahrheit möglichst nahezukommen.
In Wirklichkeit ging es in dieser Debatte natürlich stets um mehr als nur um diese Wahrheit. Ihren Anfang nahm der Infight um die Zwangsvereinigung in Schwerin, wo der Landesvorstand der SPD im Oktober 1994, nach den Landtagswahlen, unter dem Titel „Notwendige Klarstellungen“ statuierte: „Die SPD erwartet von der PDS die öffentliche Erklärung, daß die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED im Jahre 1946 Unrecht war und nur durch Androhung von Gewalt zustande gekommen war.“
Sieht man mal davon ab, daß den PDSlern damit das Bekenntnis zu einer Tautologie abverlangt wurde, war die „Notwendige Klarstellung“ scheinbar kein ungeschicktes Abgrenzungsmanöver. Denn in Frage stand die Probe aufs Exempel: Wird die PDS ihre neugewonnenen demokratischen Einsichten auch auf die Beurteilung ihrer eigenen Geschichte anwenden? Falls nein, bewegt sie sich außerhalb des demokratischen Grundkonsenses, eine Koalition ist deshalb mit ihr nicht möglich. Auch Wolfgang Thierse, der im März dieses Jahres auf der Konferenz der Historischen Kommission der SPD zur Zwangsvereinigung den vorläufigen Schlußpunkt setzte, bohrte in dieser Wunde: Die erzwungene Fusion von 1946 sei nur ein Anwendungsfall für das Jahrhundertringen um den Stellenwert der Demokratie in der Arbeiterbewegung. Karl Kautskys Verdammungsurteil über den Bolschewismus aus den dreißiger Jahren variierend, sprach Thierse vom „Geburtsfehler“ der SED: Der wäre nur durch die Selbstauflösung und Neukonstituierung der Partei im Jahre 1989 zu beheben gewesen. Was bekanntlich unterblieben ist.
Welcher Teufel hat angesichts dieser schwierigen Ausgangslage die PDS-Führung geritten, eine Historikerkommission einzusetzen, die, schon wegen der einschlägigen Reputation ihres Vorsitzenden, nur Formelkompromisse, nur ein mattes Sowohl-als-Auch, mit einem Wort: nur Apologetik zustande bringen konnte? Auch Polens Präsident Kwasniewski und Ungarns Premier Horn müssen auf „konservative“ Strömungen in ihren sozialdemokratischen Wendeparteien Rücksicht nehmen. Dennoch zögern beide nicht, sich bei jeder Gelegenheit von den Schandtaten ihrer realsozialistischen Vorgängerparteien zu distanzieren oder zu entschuldigen. Und dies, obwohl sie in sozialistischen Zeiten für Parteiaufträge jeder Art zur Verfügung standen. Pragmatiker, die sie sind, handeln sie nach der Maxime „Worte sind wohlfeil, symbolische Gesten gänzlich umsonst“ – und kommen damit durch.
Es scheint, als ob die PDS-Führung sich mit dem Konstrukt der „Lebensidentität“ jedes DDR- Bürgers in ein selbstgewähltes Gefängnis begeben hätte. Dieser Kampfbegriff gegen die angebliche Kolonialisierung Ostdeutschlands hemmt jeden Versuch, die „Vergangenheit“ nach dem Vorbild der ostmitteleuropäischen Genossen entschlossen auf den Müll zu kippen, einen Neuanfang zu behaupten oder auch wirklich zu wagen. Vorübergehend mag die Losung vom Recht auf die je eigene Biographie als Kitt dienen, vorübergehend mögen die ehemaligen Aktivisten der SED in dem Gefühl bestärkt werden, ein politisches Leben nicht umsonst gelebt zu haben. Aber die Identität versprechenden Mythen werden an der neuen Realität zuschanden, die, samt ihren Verheißungen und Enttäuschungen, die künftigen Biographien umprägen wird.
Welchen Stellenwert hat die „Zwangsvereinigungsdebatte“ nun tatsächlich für das künftige Verhältnis von SPD und PDS? Die SPD hat ihre Rivalin selbst groß gemacht, als sie 1990 den Dresdener Bürgermeister und PDS-Vize Wolfgang Berghofer abblitzen ließ und damit vielen biederen Sozialdemokraten in spe nur die Wahl ließ zwischen dem Rückzug ins Private und der Partei Gysis. Wer die heutige mittlere und untere Funktionärsschicht der PDS als realsozialistischen Beton charakterisiert, bewegt sich auf dem Niveau von Verfassungsschutzberichten der südlichen Bundesländer. Selbst bei der Kommunistischen Plattform trifft man in der Regel auf wehmütige, selbstgenügsame Zirkelchen, von leninistischem Tatendrang keine Spur. Wo man auch hintritt: altsozialdemokratisches Milieu.
Wie die Mitgliedschaft, so die Ideologie. Die PDSler bewegen sich in den Trümmern des „Dritten Weges“, jener Gedankenwelt, die ihre Wurzeln im Austromarxismus der 20er Jahre, ihre Blütezeit im Eurokommunismus der 70er und ihr Verfallsdatum in den späten 80er Jahren hatte, als die Gorbatschowschen Reformen scheiterten. Den ökonomischen Vorstellungen eines Königswegs zwischen Kapitalismus und Realsozialismus entsprach die Idee einer Erweiterung der Demokratie um die entscheidende, die „soziale“ Komponente. Daran schließt sich auf diffuse Weise an, was in der PDS unter Demokratie verstanden wird.
Deshalb trifft die Alternative „Leninismus oder Demokratie“, die Wolfgang Thierse so schwungvoll auf der Historikerkonferenz in Berlin entwickelt hatte, immer weniger die Realität der PDS, taugt immer weniger als Abgrenzungskriterium. Thierse war sich dieses Dilemmas selbst bewußt, denn in der gleichen Rede forderte er dazu auf, sich vor allem anhand der aktuellen Probleme mit dem Konkurrenten auf der Linken auseinanderzusetzen. Womit der Kreis sich wieder in Mecklenburg-Vorpommern schließt. Christian Semler
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