Brasilien von seiner archaischen Seite

Die Militärpolizei tötet 25 Landbesetzer – teils per Nackenschuß. Der Agrarminister tritt ab  ■ Von Astrid Prange

Rio de Janeiro (taz) – Einen Proteststurm hat die Hinrichtung von 25 landlosen Bauern am vergangenen Mittwoch durch die brasilianische Militärpolizei im Amazonasgebiet hervorgerufen. „Das Verhalten der Polizei ist unakzeptabel“, verurteilte Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso das Blutbad im Bundesstaat Pará. „Dies ist die Reaktion eines archaischen Landes.“ Brasiliens Agrarminister José Andrade Vieira, Besitzer einer der größten Privatbanken des Landes und ausdrücklicher Gegner der Agrarreform, trat am Donnerstag abend zurück. Eine überparteiliche Parlamentskommission, angeführt von Brasiliens Justizminister Nelson Jobim, flog nach Pará, um die Gründe für das Massaker zu untersuchen.

Der Zusammenstoß zwischen landlosen Familien und Militärpolizisten ereignete sich am Mittwoch nachmittag auf der brasilianischen Bundesstraße PA-150 in der Nähe des Ortes Eldorado de Carajas im Bundesstaat Pará. Nach Angaben von Francisco Dalchiawom, Mitglied der brasilianischen Landlosenbewegung (MST) aus Pará, wollten die rund 1.500 Familien gegen die Verzögerung beim Enteignungsprozeß der nahe liegenden Farm „Macaxeira“ demonstrieren, die zur Zeit von 3.000 Familien besetzt wird. Die Demonstranten hätten mit ihrem Protestmarsch vorübergehend den Verkehr auf der Bundesstraße lahmgelegt. „Die Polizei setzte erst Tränengas ein, dann eröffnete sie das Feuer auf die Demonstranten“, sagte der MST-Vertreter gegenüber der taz.

Nach offiziellen Angaben starben 25 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder. Obduktionsbefunde ergaben, daß 18 Opfer durch Nackenschüsse getötet wurden. Fünfzig Schwerverletzte kämpfen ums Überleben. Dreißig Landarbeiter wurden als vermißt gemeldet, drei Landlose vorübergehend festgenommen. Die Identifizierung der Toten gilt als schwierig, denn die meisten Leichen sind stark verstümmelt.

Regierung ignorierte Schutzappell

Paulo Rocha, Abgeordneter der Arbeiterpartei (PT) aus Pará, macht die Regierung für das Blutbad mitverantwortlich. „Einen Tag vor dem Massaker haben die Landlosen ein Telegramm an Präsident Cardoso, an Agrarminister Andrade Vieira und an den Gouverneur von Pará, Almir Gabriel, geschickt“, sagt der Parlamentarier. Dennoch seien keinerlei Vorsichtsmaßnahmen ergriffen worden. Der Sicherheitssekretär von Pará, Paulo Setti Camara, räumte inzwischen öffentlich eine „Überreaktion“ der Polizei ein. „Die Landlosen haben den Konflikt provoziert, doch dies rechtfertigt nicht das brutale Vorgehen der Polizei“, sagte er, entließ den Kommandochef der Polizeiaktion und orndete eine Untersuchung an.

Die brutale Behandlung von Landlosen hat in Brasilien Tradition. In den letzten zehn Jahren starben nach Angaben der katholischen Landpastorale CPT 178 Menschen bei Agrarkonflikten. „Die Regierung behandelt die Anhänger der Landlosenbewegung bewußt mit Gewalt“, ist MST- Vertreter Francisco Dalchiawom überzeugt. Im Januar wurden vier Mitglieder der Landlosenbewegung aus São Paulo wegen „krimineller Bandenbildung“ für zwei Monate festgenommen.

Am Mittwoch, als das Massaker in Pará geschah, besetzten landlose Familien zwei weitere Großgrundbesitze. Nach Angaben der Landlosenbewegung warten zur Zeit 47.000 Menschen unter Plastikplanen auf eine definitive Ansiedlung. Das Heer aus Landarbeitern und Arbeitslosen, die um ein Stück Grund und Boden kämpfen, wird insgesamt auf zwölf Millionen Menschen geschätzt. Brasiliens Präsident Fernando Henrique Cardoso hatte während seines Amtsantritts im Januar 1995 versprochen, innerhalb der nächsten vier Jahr 280.000 Familien anzusiedeln. Bis jetzt gibt es nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums 1.057 Ansiedlungen auf sechs Millionen Hektar.