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Modische Buntgarne als Retter

In der einstigen Textilhochburg Augsburg trotzt ein Unternehmen der Pleitewelle. Statt ins Ausland abzuwandern, sucht es neue Marktnischen  ■ Von Klaus Wittmann

Die riesigen Fabrikhallen aus der Mitte des 19. Jahrhunderts muten ein wenig gespenstisch an. Nur noch in einem Teil von ihnen wird produziert. Der Besucher möchte kaum glauben, daß hier in diesen Hallen hochmoderne Spinn- und Färbemaschinen helfen, einem alteingesessenen Unternehmen am Standort Deutschland das Überleben zu sichern. Doch die Augsburger Kammgarn Spinnerei AG (AKS) hat möglicherweise bald das geschafft, was die meisten der hier ansässigen Textilbetriebe vergeblich versuchten: das Überleben.

Dabei geht es mit vielen einstigen Textilfirmen immer mehr bergab. In Augsburg steht die NAK Stoffe AK, Europas größter Stoffdrucker, vor dem Aus. Ein weiterer Textilbetrieb, die zur Dierig AG gehörende Martini Textil GmbH & Co KG, kündigte dieser Tage die Einstellung der Produktion und Werksschließung an. Von den einstmals mehr als 35.000 Beschäftigten der Textilhochburg sind heute gerade einmal knapp 3.000 übriggeblieben.

Ist die Textilindustrie nicht mehr zu retten?

Damit liegt Augsburg im Bundestrend. Waren 1965 in Deutschland noch 547.000 Menschen in über 4.000 Textilbetrieben beschäftigt, so zählte man schon 1975 nur noch 1.862 Betriebe mit 356.000 MitarbeiterInnen. 1985 sah es noch verheerender aus: 1.334 Produktionsstätten und 231.000 MitarbeiterInnen und letztes Jahr dann rund 900 Textilbetriebe mit gerade einmal 132.000 Beschäftigten. Kein Wunder, ist doch von den 120 Millionen Hemden, die jährlich in Deutschland verkauft werden, so gut wie keines mehr aus deutscher Produktion.

Ist die deutsche Textilindustrie also nicht mehr zu retten? Fast möchte man meinen, nein, wenn man sieht, daß die verbliebenen Betriebe ihre Produktion immer mehr ins Ausland verlagern. So auch die direkte Konkurrenz der AKS, die heute überwiegend in Portugal, Polen oder der Tschechischen Republik produziert. Wie kann ein Textilbetrieb dann in Augsburg überleben?

Auch die AKS steckte bis über beide Ohren im Schlamassel und schrieb jahrelang Verluste. 1993 waren es bei einem Umsatz von 85 Millionen Mark 18 Millionen, ein Jahr später bei 78 Millionen Umsatz noch immer 6 Millionen minus. Dieses Jahr freilich wird die AKS, da ist sich das Management sicher, wieder eine schwarze Null schreiben. Das Sanierungskonzept des seit knapp drei Jahren amtierenden Managements scheint zu greifen. Die Bilanz hat allerdings auch eine düstere Seite. Zunächst hieß es hier wie anderswo Stellenabbau. Von den 800 Beschäftigten sind nur noch 360 übriggeblieben, allerdings wurde nicht nur in der Produktion, sondern auch im Management kräftig ausgesiebt. Hinzu kam ein Teilverkauf von Grundstücken, um die Entschuldung zu beschleunigen.

Seit kurzem wird jetzt wieder investiert. „Erst dieser Tage haben wir zehn neue, hochmoderne Spinnmaschinen angeschafft“, berichtet Vorstand Armin Hennemann. „Wir haben zudem unsere Produktion von 6.000 Tonnen Kammgarn auf 3.500 Tonnen zurückgefahren und uns damit dem Markt angepaßt.“ So weit, so gut, aber hier beginnt das, was manch anderer Textilbetrieb versäumt hat. Nachdem unschwer zu erkennen war, daß beim Weißgarn gegen Billiglohnländer wie China und Indien kein Stich zu machen ist, konzentrierte man sich bei der AKS voll auf modische Buntgarne. „Wir sind nicht ausgewandert, wie es viele unserer Mitbewerber tun, sondern wir produzieren hier qualitativ hochwertige Garne, die wir auch exportieren und schnell an die Weber bringen können.“

Die Nische: schnell wechselnde Modetrends

Man setzt darauf, daß die Moden immer schneller wechseln und daß die AKS Kundenwünsche in kleinen Auflagen sehr schnell befriedigen kann. Ja, man meint sogar, den Modetrends nicht nur zu folgen, sondern sie sogar beeinflussen zu können.

Die fernöstlichen Billiganbieter können nämlich Buntgarne in kleineren Mengen und in hochwertiger Qualität nicht oder nicht so schnell liefern. Dazu sind, hat die AKS analysiert, die Transportwege zu lang. Kommt dann noch „Modemarketing“ mit „schnellen Aktionen am Markt“ hinzu, und darf man sich noch einer „perfekt organisierten Logistik“ rühmen, dann kann schon fast nichts mehr schiefgehen.

Und auch für das Image tut man noch was: Als eines von wenigen Textilunternehmen leisten sich die Augsburger eine Ökobilanz, anders als vor allem die Konkurrenz im Kammgarnland Numer eins, in Italien. Und ganz bescheiden will das Vorstand Armin Hennemann „nicht als besonders menschenfreundliches Verhalten“ gewertet sehen, sondern „unter Kostengesichtspunkten“, man spare einfach Geld dabei. Die AKS müsse zum Beispiel keine Garne wegen Allergieverdacht zurückziehen. „Wir haben noch schwer zu kämpfen mit der Restrukturierung, aber wir haben sicher auch die richtigen Zeichen gesetzt“, schwärmt der Vorstand und bilanziert: „Wir sind auf Wochen hinaus ausgelastet – und zwar mit Kundenaufträgen, nicht etwa mit der Bestückung des Lagers.“ Die Erlöse seien zwar nicht immer befriedigend, aber zumindest arbeite man jetzt kostendeckend.

In den alten Fabrikhallen produzieren computergesteuerte Maschinen riesige Garnballen und schleusen die Garne vom Schnitt über das Kämmen bis hin zur Färberei. „Damit“, so der technische Leiter Joachim Schramm, „sind wir absolut konkurrenzfähig.“ Bei Buntgarnen hat die AKS in Deutschland 40 Prozent Marktanteil. Mehr als ein Fünftel des Umsatzes von rund 80 Millionen Mark wird durch den Export erzielt, und im Bereich der sogenannten technischen Garne, das sind Sitzbezüge für Auto- und Luftfahrtindustrie, zeigt die Tendenz deutlich nach oben.

Große Firmen wie die Autohersteller BMW, Audi, VW, aber auch die Flugzeugindustrie zählen zu den Kunden der AKS. Ebenso werden Uniformgarne für Polizei, Stewardessen und Feuerwehrleute produziert. Das Unternehmen mit der 160jährigen Tradition wird, so wie es derzeit aussieht, überleben.

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