"Den Zwang kleingeredet"

■ Vor 50 Jahren wurden KPD und SPD zur SED zwangsvereinigt. Dazu Peter Porsch, PDS-Fraktionsvorsitzender im Landtag von Sachsen

taz: Am Wochenende jährt sich zum 50. Male der Jahrestag der SED-Gründung. Wäre dies für die PDS nicht ein guter Anlaß, sich bei der SPD für die Zwangsvereinigung zu entschuldigen?

Peter Porsch: Wir sollten es uns nicht so einfach machen, uns mit einer Entschuldigung aus einem historischen Prozeß herauszustehlen.

Aber macht die PDS dies nicht bereits, wenn sie bei der Vereinigung von SPD und KPD lediglich von Elementen des Zwanges spricht?

Die Erklärung der historischen Kommission der PDS ist ein Diskussionsangebot. Es ist kein offizielles Parteidokument.

Die PDS geht damit um, als sei es ihr letztes Wort.

Es haben sich danach in der PDS viele Diskussionen entwickelt. Ich habe dieses Papier kritisiert, weil es den Zwang bei der Vereinigung verniedlicht. Sehr viele Zeitzeugen versichern, der Prozeß der Vereinigung von SPD und KPD sei am Anfang in hohem Maße von Freiwilligkeit getragen worden sowie von der Hoffnung auf die historische Chance der Vereinigung beider Parteien der Arbeiterbewegung. Es ist aber unzulässig, wie in der Erklärung geschehen, das Element des Zwangs kleinzureden, damit unter dem Strich das Positive bleibt. Für den Vereinigungsprozeß von SPD und KPD war von Anfang an beides charakteristisch.

Sozialdemokraten wurden eingeschüchtert, inhaftiert, später auch ermordet. Alle Elemente politischen Zwangs und politischer Verbrechen sind dokumentiert. Müßte die PDS dies nicht deutlicher benennen, anstatt ständig zu lavieren?

Ich habe mir die Broschüren der SPD genau angesehen. In ihnen ist von Zwang und Druck die Rede. Die Dramatik von Gewalt und Mord setzte erst später ein. Aber ich kann selbstverständlich nach 50 Jahren nicht so tun, als würde mich nur der Anfang interessieren und nicht das Ende. Vom Ende her betrachtet wird deutlich, Zwang war nicht nur von Anfang an dabei, sondern es deutete sich da bereits an, daß er wahrscheinlich dominieren wird.

Die Umwandlung der SED in eine stalinistische Partei neuen Typs war also doch vorbestimmt?

Es gab am Anfang noch eine Alternative. Die Deutschlandpolitik der Sowjetunion war 1946 noch nicht für die Zeit des Kalten Krieges mit der absoluten Vertiefung der Spaltung konzipiert.

Wilhelm Pieck hat bereits 1944 in Moskau davon gesprochen, die SPD werde ausgeschaltet. Der Ausgang des Vereinigungsprozesses war demnach doch nicht mehr wirklich offen?

Es hat ja nicht nur Wilhelm Pieck alleine Politik gemacht, auch wenn ihm die historische Entwicklung natürlich in die Hand gespielt hat. Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht wußten sicher von Anfang an, was sie wollten. Zunächst sollten sich SPD und KPD in eine Einheitspartei paritätisch einbringen. Auf Dauer wollten sie die Hegemonie erringen, und 1949 ist ihnen dies schließlich auch gelungen. Da war allerdings die Geschichte in Europa bereits so vorangeschritten, daß man von der Spaltung des Kontinents ausgehen konnte.

Viele Zeitzeugen aus der PDS tun sich heute sehr schwer damit, sich selbstkritisch mit der Geschichte der Vereinigung auseinanderzusetzen. Ist dies nicht auch ein mentales Problem der alten Genossen, die schließlich 40 Jahre Anpassung mitgemacht haben?

Zeitzeugen sind nicht die Träger der historischen Wahrheit. Sie sind Zeugen eines historischen Prozesses. Jeder Zeitzeuge hat in Bezug auf seine Biographie einen eigenen Blick. Natürlich betonen viele von ihnen heute vor allem ihre Hoffnungen und Sehnsüchte. Deshalb brauchen wir eine kritischen Geschichtsschreibung.

Warum trägt die PDS dazu wenig bei?

So wenig ist das nicht. In den Ländern und Regionen gibt es gerade in diesen Tagen viele Veranstaltungen zur kritischen Aufarbeitung. Dennoch ist es ein anstrengendes Geschäft, die Auseinandersetzung in der PDS nach 50 Jahren in diese Richtung zu bringen. Natürlich dienen die politische Debatten auch der Rechtfertigung und der Legitimation. Aber das ist auch bei der SPD so. Die einfache Reduktion auf den Begriff Zwangsvereinigung ist genauso ein Ausbüxen vor der Geschichte. Die SPD drückt sich vor der Frage, welche Verantwortung sie auf sich genommen hat. Die Alternative zur Partei neuen Typs wäre sehr viel lebensfähiger gewesen, wenn die SPD sich dazu bekannt hätte, die Vereinigung von SPD und KPD zu einem gesamtdeutschen Unternehmen zu machen. Die Hegemonie der KPD wäre in einer gesamtdeutschen Partei niemals möglich gewesen. Interview: Christoph Seils