„Peres ist Gefangener seiner Generäle“

■ Der israelische Friedensaktivist Uri Avnery zu den Chancen auf Waffenruhe

taz: Der Krieg im Libanon dauert über eine Woche, und erst jetzt erscheinen in israelischen Zeitungen Protestanzeigen der israelischen Friedensbewegung.

Uri Avnery: Das ist nicht der erste Protest. Am Dienstag gab es eine Demonstration von Gush Shalom. Aber die ist von allen Medien totgeschwiegen worden – aus Angst, auch nur einen Hinweis darauf zu geben, daß ein Teil der israelischen öffentlichen Meinung gegen diese Operation ist. Erst nach der Bombardierung des UN- Camps wagen es andere oppositionelle und halboppositionelle Organisationen in Israel, dagegen zu demonstrieren.

Was bewirken die blutigen Bilder aus dem Libanon? Sind die Leute entsetzt?

Entsetzt wäre übertrieben. Man meint, daß Peres eine unglückliche Hand hatte und daß so etwas seine Operation kaputt macht.

Die Regierung spricht von einem Versehen.

Das Wort ist verrückt. Man kann doch nicht Zehntausende Granaten und Bomben auf ein Land werfen, in dem eine halbe Million Menschen wohnen, und sich dann wundern, daß Leute umkommen.

Schimon Peres gilt als Friedensstifter. Jetzt entpuppt er sich als Kriegsherr.

Peres war sein ganzes Leben lang ein Falke. Daß er sich in den letzten zwei Jahren als etwas anderes ausgegeben hat, bedeutet keine Veränderung. Den verändert man doch nicht mit 70. Schimon Peres war nie ein Friedensheld. Er hat Talent dafür, Phrasen zu erfinden und sie eine Zeitlang endlos zu wiederholen, bis er eine neue entdeckt. Er war nie ein ehrlicher und konsequenter Mensch wie Jitzhak Rabin.

Manche meinen, Peres habe der Militäraktion nur zugestimmt, weil sonst die Armee nicht mehr hinter ihm gestanden hätte.

Vor zwei Tagen hat ein israelischer General im Libanon erklärt, die Armee werde es Peres nicht erlauben, die Operation abzubrechen. Hier wedelt also der Schwanz mit dem Hund. Peres ist Gefangener seiner Generäle.

Welchen Einfluß hat der Krieg auf die Wahlen am 29. Mai?

Die rechte Opposition sagt jetzt, wenn Peres die Operation abbricht, ist das ein Dolchstoß in den Rücken der Armee. Peres hat die Wahl, weiterzumachen und sich mit den Amerikanern zu zanken oder die Aktion abzubrechen und die Wahlen zu verlieren. Der Krieg war als Teil des Wahlkampfes gedacht, aber jetzt kann er dazu führen, daß Peres verliert.

Die Kämpfe könnten bis zu den Wahlen weitergehen?

Wie soll man die Aktion jetzt abbrechen? Die Katjuschaangriffe auf Nordisrael gehen weiter. Ich sehe keinen Weg, wie man das mit militärischen Mitteln verhindern kann. Jede kleine Gruppe von Guerillakämpfern kann Katjuschas abfeuern. Wenn jetzt die israelische Armee mit Bodentruppen einmarschiert, so wie es einige Leute fordern, dann werden diese Soldaten islamischen Selbstmordkommandos ausgesetzt sein. Israelische Soldaten werden dutzendweise ums Leben kommen. Es gibt keinen Ausweg. Das hätte sich Peres vorher überlegen müssen.

Welche Möglichkeiten hat die internationale Gemeinschaft, dem Krieg ein Ende zu bereiten, welche die USA und Europa?

Europa ist vollkommen belanglos. Es geht nur um die USA. Clinton hat vorgestern eine sofortige Waffenruhe verlangt, aber sein nächster Satz war: Ich schicke meinen Außenminister in den Nahen Osten. Der kommt aber erst 48 Stunden später. Man gibt also Israels Armee einige Tage freie Hand, die Operation weiterzuführen. An diese amerikanische Heuchelei sind wir gewöhnt.

Welche Hoffnung hat die israelische Friedensbewegung noch?

Sie hat total versagt. Peace Now ist seit drei Jahren scheintot. Das erste Wort gegen den Krieg kam am Morgen nach der Bombardierung des UN-Camps. Peace Now ist für diese Regierung und wird nichts gegen sie unternehmen. Interview: Thomas Dreger, Berlin