Kuh vom Eis oder Rinderwahnsinn?

■ Statt Partei sieht Rotgrau nur halb gerettet: Verwaltungsreform kommt, aber Konflikt um Verfassung noch ungelöst Von Silke Mertins und Florian Marten

Statt-Chef Achim Reichert will sich nicht zu früh über einen Sieg Davids gegen Goliath freuen: Zwar sei Bürgermeister Henning Voscherau am Freitag vor dem SPD-Parteitag mit nebulösen Worten in die Knie gegangen und stimmte der von ihm ungeliebten Bezirksverwaltungsreform zu. Doch „nach all den Irrationalitäten“ des Bürgermeisters sei Reichert erst sicher, wenn die Reform am kommenden Dienstag den Senat passiert hat. Und auch damit sei die Kuh noch nicht vom Eis.

Völlig aus dem aufgeregten Blickfeld geraten sei nämlich die Verfassungsreform – das andere Minenfeld für Rotgrau. Zwingend muß der Verfassungsausschuß am Dienstag entscheiden, wie das Abstimmungspaket geschnürt werden soll. Sonst kann dieses zweite große Reformvorhaben nicht mehr in dieser Legislaturperiode durch die Bürgerschaft gebracht werden. Zwar ist mit dem CDU-Nein zu der Einführung von Wahlkreisen – und ohne die Christdemkokraten will die SPD das Wahlrecht nicht ändern – ein schwerer rotgrauer Konflikt erst einmal vom Tisch. Statt will ein Zwei-Stimmen-, die SPD ein Ein-Stimmen-Wahlrecht. Doch das ist nicht der einzige Dissens: „Besonders schwer tut sich die SPD mit der Abschaffung des ruhenden Mandats für Senatsmitglieder“, so Reichert. Abgetretene Senatoren wie Ex-Innensenator Werner Hackmann könnten dann nicht mehr in die Bürgerschaft zurücckehren. Auch in Sachen Volksgesetzgebung und Reduzierung der Zahl der Bürgerschaftsabgeordneten gibt es noch keine Einigung.

Der SPD-Parteitag am vergangegen Wochenende in Wilhelmsburg hatte sich – versunken in glückseliger Dankbarkeit für Voscheraus Nachgeben – mit diesen ungelösten Streitpunkten nicht befaßt. Statt dessen startete die SPD mit gewohnter Geschlossenheit und einem erneut geschärften politischen Profil (siehe Kommentar) in das letzte Jahr der rotgrauen Regierungskooperation. Eimsbüttels Kreischef Heinz Uthmann spöttisch: „Was habt ihr denn erwartet? – Keine Krise, alles in Butter!“

Voscherau hatte in einer Weltuntergangsrede den inneren Schweinehund („Anspruchsdenken“, „Bequemlichkeit“) angeprangert und Schluß mit „mehr Demokratie wagen“ gefordert. Jetzt, in der Krise, müsse es heißen: „Mehr Leistung, mehr Führung, mehr Wirkung“, um den „ökonomischen Niedergang zuversichtlich zu gestalten“.

Mit „Klarstellungen“, so der Bürgermeister, hatten die Senatoren Thomas Mirow (SPD) und Wolfgang Hoffmann-Riem (für die Statt Partei) zuvor in Geheimverhandlungen den Streit zwischen Voscherau und dem Rest der Hamburger Politik beerdigt. Auch wenn „mir die ganze Richtung eigentlich nach wie vor nicht paßt“ gestand Voscherau der taz, stehe nun fest, daß der Senat in Sachen Bauleitplanung und Globale Richtlinien das letzte Wort behalten werde.

Zwar wurde der SPD-Parteitag über den konkreten Wortlaut der Vereinbarung in Unwissen gehalten. Klar ist aber, daß der Senat am Dienstag Hoffmann-Riems Entwurf passieren läßt. „Geändert hat sich so gut wie nichts“, so Reichert gestern. Nur der Erläuterungstext sei „deutlich vertieft“ worden. Die Bezirke werden mehr Aufgaben enthalten – die eigentümliche Zwitterstellung mit zwar gewählten, aber doch beim Senat angestellten BezirksamtsleiterInnen und Parlamenten, die keine wirklichen Rechte haben, bleibt unangetastet. Der Senat kann bei größeren Bauvorhaben wie der Mehrzweckhalle, bei Wohnungsbau über 300 Einheiten und Industrieansiedlungen für mehr als 500 Arbeitsplätze die Leitung von vornherein übernehmen.

Experten befürchten, daß hier die Chancen einer wirklichen Verbesserung der Hamburger Verwaltung verspielt werden. Ein Insider zur taz: „Der Konflikt zwischen Fachbehörden und Bezirken wird nicht gelöst. Es wird bei Doppelarbeit bleiben. Die Reform wird wohl mehr kosten, als sie einspart.“

Widersprüchlich auch die Debatte um das Thema „Bündnis für Arbeit“. Zwar klatschten die Parteitagsdelegierten der DGB-Nordmark-Chefin Karin Roth brav Beifall und stimmten auch einer Resolution zu. Das von Senat, Gewerkschaften und Arbeitgebern erarbeitete Papier für ein regionales Bündnis für Arbeit liegt jedoch bis heute im Senat unter Verschluß. Karin Roth, durchaus nicht nur rhetorisch: „Wer hat in den Reihen der SPD das Bündnis für Arbeit nicht längst abgehakt? Gibt es nicht immer mehr, die sich eher im Scheitern des Bündnisses als beim Gelingen bestätigt sehen?“

Eindeutig dagegen die Wahlen zum Landesvorstand: Parteichef Jörg Kuhbier erhielt sensationelle 92 Stimmenprozente. Auch die lädierten Flügelstürmerinnen Dorothee Stapelfeldt und Petra Brinkmann bekamen mit jeweils über 60-Prozent-Zustimmung eine weit zartere Ohrfeige, als viele prophezeit hatten. Mit dem drittbesten Ergebnis – 175 Stimmen – wurde außerdem der erste Schwuso, der zur Parteirechten zählende Peter Maßmann, in den Landesvorstand gewählt.