: „Dumm gelaufen“
■ Alles hätte so schön sein können, aber . . . / von Gastautor Klaus Jarchow
Es begann so gut. Stuttgarts Muskelmann Thorsten Legat versuchte wohl noch, seine eingeschlafenen Synapsen fürs Spiel zu aktivieren, als ihn sein Gegenspieler mit seinen Problemen einfach allein ließ. Mit dem Ball am Fuß zog's Mario Basler in den Strafraum. Das Leder wechselte ein letztes mal von links auf rechts und landete trocken und unhaltbar rechts unten im Tornetz. Die Zuschauer – soweit sie norddeutsch waren – freuten sich, lehnten sich entsprannt zurück und dachten, alles liefe so, wie in den Spielen zuvor.
Bremen spielte gut. Zunächst jedenfalls. Zwar mehr über rechts als über links, doch stets dicht am gegnerischen Strafraum. Der Stuttgarter Torwart Ziegler zeigte gelegentlich Scheu, den Ball zu treten, was für Amüsement auf den Rängen sorgte. Bis etwa zur 25. Minute blieben die Grünweißen überlegen. Oliver Reck mußte sich das erste Mal gewaltig strecken.
Baiano entdeckte inzwischen alte Fehler wieder: den freisteigenden Flattermann und die Preßquetschbefreiungsrückgabe. Ebenso massig wie elegant bewegte er sich im Spannungsfeld von Genie und Demenz. Der Adrenalinspiegel des Publikums begann erste Blasen zu schlagen, der erste, alternde Koronarpatient griff sich japsend ans Herz, da dachte sich auch Olli Reck, daß er's einmal brasilianisch wagen dürfte. Direkt vor den weißen Schuhen von Ciovanne Elber versuchte er in der 40. Minute zu zaubern – und wurde prompt entzaubert. Die Improvisation des Bremer Zauberlehrlings blieb glücklicherweise ohne zählbare Folgen.
Als es Halbzeit wurde, hatte das Spiel aber bereits zu kippeln begonnen. Die zweite Halbzeit glich zunächst der ersten. Ganz DDR-mäßig hammerzirkelte Mario Basler den Stuttgartern einen 30-m-Freistoß zum 2 : 0 ins Netz. Vorbei an einer dürftigen Dreimannmauer der Stuttgarter, die offenbar auf Marios weiche Leiste vertraut hatte. Daß alles gelaufen wäre, dachten wohl die Bremer. Der blaue Himmel und die sommerlichen Temperaturen verlockten ja auch zum Träumen. Stuttgart wurde von Minute zu Minute besser, Bremen schlechter. Alles spielte sich fast ausnahmslos nur noch vor, in und um Bremens Strafraum ab.
Die Schwaben agierten schön und direkt. Balakow, der Eilts mehr und mehr enteilte, spielte ansatzlos zu Elber, der zu Poschner und der zu Cilewicz, der dann das Runde unhaltbar ins Eckige 2 : 1 trat. Werder war endgültig hypernervös. In der Abwehr traute jeder jedem alles zu – oder besser gar nichts mehr. Deshalb eilten regelmäßig alle Umstehenden zum Ball, auch wenn sie sich gegenseitig behinderten. In den aberwitzigsten Winkeln tauchte das Leder aus dem Wolling wieder auf, oft genug dort, wo ein Stuttgarter freistand.
Endlich, möchte mann fast sagen, fiel dann in der 87. Minute der Ausgleich, durch einen jungen, unbekannten Mann namens Oelkuch mit der Nummer 18, der damit für eine Woche zu einem neuen Star in der Fußball-Manege wurde. Ein paar Worte noch des Nichtspielers zu den Spielern: Natürlich ist Mario Basler mit zwei Toren außerhalb jeder Kritik. Mir persönlich gefiel Oliver Reck mit seinen Paraden am besten, trotz Lapsus. Dieter Eilts war zwar auch recht nett, hatte aber am Ende der zweiten Halbzeit doch die Kontrolle über Stuttgarts Nummer 10, Krassimir Balakow, ein wenig verloren.
Dem Vladimir Bestchastnykh allerdings wäre meine gutherzige Mutter mit einigen Flaschen „Rotbäckchen“ zu Hilfe geeilt: So blaß, so unglücklich und aufgequollen wie ein Cortison. Seine linke Seite im Sturm war ein glatter Ausfall. Folgerichtig kam für ihn in der 69. Minute Hobsch. Doch auch Bremens ehrlicher Rackerer wirkte ein wenig, als trüge er statt Fußballschuhen Frittenkörbe an den Füßen.
Bleibt im Sturm Labbadia. Der kämpfte zwar und wühlte – aber ohne durchschlagenden Erfolg. Immerhin schaffte er es, Zeit zu schinden. Wenn in der zweiten Halbzeit einer der weiten Abschläge Oliver Recks bei ihm landete, dann fuhr der Bruno den Steert ganz weit aus, schob ihm den Gegenspieler ins Gemächte und begann mit dem Ententanz um wertvolle Sekunden.
Fazit: Bremen verpaßte an diesem Wochenende den Aufstieg in den Kreis der UEFA-Cup-Aspiranten. Weil im Mittelfeld niemand Regie führte und weil das Selbstbewußtsein aus den letzten Spielen im chaotischen Abwehrgestocher wohl zunehmend Löcher bekam. Das Spiel ist für Werder am Ende dumm gelaufen, weil allzuviele Spieler am Ende dumm gelaufen sind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen