: „Die Innenstadt stirbt“
■ Auf Vegesacker Werftbrache soll neues Zentrum entstehen / Interview mit Geschäftsmann Thomas Kramer
Auf dem Lürssen-Gelände am Vegesacker Hafen, das als eines der kostbarsten Ufergrundstücke Bremens gilt, wollen die Stadtentwicklung Vegesack GmbH (Stave) und das Wirtschaftsressort unter anderem einen Supermarkt bauen (die taz berichtete). In der Kaufmannschaft regt sich Protest. Über die Befürchtungen der Geschäftsleute sprachen wir mit Thomas Kramer, Geschäftsführer eines Kaufhauses mit 60 Mitarbeitern.
Herr Kramer, Sie haben sich auf der letzten Beiratssitzung kritisch zu den Plänen geäußert. Was stört sie daran?
Ich habe grundsätzlich nichts gegen die Pläne. Im Gegenteil. Das Zentrum könnte sogar eine Chance für Vegesack sein. Die Innenstadt ist bei diesem Konzept allerdings völlig vergessen worden.
Aber die Stave will Touristen nach Vegesack locken. Profitieren davon nicht alle?
Wenn sich die Touristen oder andere Kunden nur noch am Hafen aufhalten, weil sie dort alles vor Ort haben – den Verbrauchermarkt genauso wie das Kino oder die Kneipe – haben sie keinen Grund mehr, in die Innenstadt zu kommen. Die Geschäfte in der Fußgängerzone würden pleite gehen.
Das klingt, als hätten Sie Angst vor der Konkurrenz.
Nein, wir freuen uns sogar auf den Wettbewerb. Wir müßten aber gerechtere Voraussetzungen schaffen, um diesem Wettbewerb standhalten zu können. Im Moment sieht es so aus, als solle die Innenstadt dem neuen Zentrum geopfert werden. „Ziehen Sie mit ihren Läden doch auch an den Hafen“, hat uns Klaus Kröger vom Wirtschaftsressort in der Beiratssitzung aufgefordert. Damit hat er zugegeben, daß der Niedergang der Innenstadt in den Köpfen der Planer schon vollzogen ist. Wenn man bedenkt, daß die Innenstadt Anfang der 80er Jahre für 100 Millionen Mark saniert worden ist, wäre das der reinste Schildbürgerstreich.
Was für Voraussetzungen müßten denn geschaffen werden?
Die Innenstadt muß attraktiver werden. Die Fußgängerzone könnte z.B. überdacht werden. Innenstadt und Hafengebiet müssen einander ergänzen. Nach dem bisherigen Konzept wird das Hafengelände so attraktiv, daß der Ortskern keine Chance mehr hat.
Sie wollen also die Gunst der Stunde nutzen, um aus der Bebauung des Hafengeländes Profit für die Innenstadt zu schlagen?
Anders geht es nicht. Die Innenstadt stirbt sonst, und zwar noch aus anderen Gründen. Die Stave stützt ihre Pläne auf das Gutachten einer Hamburger Unternehmensberatung. Dort heißt es, daß das Verkehrsaufkommen erheblich steigen wird. Die Gutachter rechnen in Spitzenzeiten sogar mit 900 Autos pro Stunde! Dieses Verkehrschaos wird die Innenstadt vom Hafengebiet abschneiden. Die Kunden werden einfach keine Lust haben, sich ihren Weg durch den Verkehr in die Innenstadt zu bahnen. Ich sage deshalb nicht, daß das Hafengebiet nicht bebaut werden darf. Man muß nur gemeinsam überlegen, wie solche Probleme gelöst werden könnten.
Hat sich die Stave deshalb mal mit den Kaufleuten zusammengesetzt?
Nein, es gab eine geheime Sitzung, die die Stave mit ausgesuchten Kaufleuten abgehalten hat. Über Umwege habe ich davon erfahren und bin hingegangen. So habe ich zum ersten Mal erfahren, was dort geschehen soll. Das war sicherlich ein Fehler der Stave, die Kaufmannschaft nicht einzubeziehen. Denn es entsteht der Eindruck, daß die Stave versucht, möglichen Widerstand in der Kaufmannschaft schon vorher im Keim zu ersticken.
Weil sie fürchtet, daß Sie sich gegen die Konkurrenz des Verbrauchermarktes auflehnen?
Darüber will ich nicht spekulieren. Ich fürchte den Verbrauchermarkt nicht. Es muß nur sichergestellt werden, daß hier nicht Fachmärkte in Form eines riesigen Schuhkartons entstehen. Das Ganze muß attraktiv aussehen – damit Touristen angelockt werden. Man muß aber auch sehen, daß die Stave den Bau des Verbrauchermarktes mit dem bereits zitierten Gutachten begründet. Dieses Gutachten geht von einer steigenden Kaufkraft und von einem steigendem Einkommen aus. Das war vor der Vulkan-Krise! Die Stave stützt ihre Plänen also auf Zahlen, die längst überholt sind. Insofern würde es mich sehr interessieren, wie groß die Verkaufsfläche ist, die die Stave jetzt schaffen will. Darüber hat Herr Seebacher, Geschäftsführer der Stave, in seinem sonst sehr ausführlichen Vortrag nämlich nichts gesagt.
Fragen: Kerstin Schneider
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