Beim Verkehr ist die Fusion bereits Alltag

■ taz-Serie zur Länderfusion: Bei der Verkehrsplanung wird Berlin-Brandenburg bereits als Einheit begriffen. Auch die Grünen haben Hoffnungen auf mehr Effektivität und die parlamentarische Kontroll

Von Bernhard Pötter

Es war Wahlkampf, und Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) schwang publicityträchtig den Spaten: Bis Ende 1996, verkündete Haase im August 1995, werde die S-Bahn von Tegel nach Hennigsdorf fahren. Nach der Abgeordnetenhauswahl im Oktober zeigte sich, daß die Verbindung ins märkische Umland doch länger auf sich warten läßt als angekündigt: Haase hatte den Lückenschluß gefeiert, bevor die Zustimmung des Bonner Eisenbahnbundesamtes vorlag. Das Bundesamt aber hat es nicht so eilig: Die S-Bahn rollt frühestens Ende 1997.

Gegen die voreiligen Erfolgsmeldungen wahlkämpfender Minister ist wohl auch in einem gemeinsamen Land Berlin-Brandenburg kein Kraut gewachsen. Und mit großen Vorteilen für die Verkehrsplanung rechnen die Verwaltungen in Berlin und Potsdam bei einer Fusion sowieso nicht, da Verkehrsprojekte auch bisher gut abgestimmt worden seien. Dennoch plädieren die Verkehrsplaner für die Länderehe: Die Arbeit werde effizienter, hofft man in den Behördenstuben.

Kritiker der Verkehrspolitik wünschen sich die Fusion aus entgegengesetztem Grund: Verwaltung und Parlament könnten kritische Fragen zur Verkehrspolitik nicht mehr wie bisher an der Landesgrenze ausbremsen.

An mangelnder Abstimmung habe bisher noch kein Projekt zwischen Berlin und seinem Umland gelitten, meinen die Verkehrsplaner. Sie betrachten bereits jetzt den Raum Berlin-Brandenburg als Einheit. Auf der Straße sind Berlin und Brandenburg längst fusioniert. In der „Verkehrsentwicklungsplanung für die Region Berlin“, die seit dem Mauerfall von den beiden Ländern gemeinsam erstellt wird, ist nachzulesen, mit welchen Szenarien die Verwaltungen rechnen: Demnach bekommt die Stadt einen Einzugsbereich von etwa 70 Kilometern, an der Stadtgrenze wächst ein „Speckgürtel“, immer mehr Pendler fahren aus dem Umland in die „Kernstadt“.

Je nach Siedlungsstruktur an der Berliner Peripherie rechnet die Planung bis 2010 mit einer Zunahme des Personenverkehrs um bis zu 50 Prozent. Auch bei der Planung für den Güterverkehr spielt die Landesgrenze kaum noch eine Rolle: Die drei geplanten „Güterverkehrszentren“ (GVZ) werden auf der grünen Wiese im märkischen Umland aus dem Boden gestampft. Von dort soll der hungrige Moloch Berlin per Lkw mit Waren beliefert werden.

Beim Aufbau der Infrastruktur in Berlin-Brandenburg wird geklotzt: Der Bund investiert etwa fünf Milliarden Mark in den Ausbau von Autobahnen und Bundesstraßen: Sechsspuriger Ausbau des Berliner Rings, Schließung des Rings der Stadtautobahn, Neubau der A113 vom Flughafen Schönefeld zur Stadtautobahn, Ausbau von Bundesstraßen vom Umland nach Berlin.

Im Schienenbereich ist die Bilanz blasser: Zwar sind nach der deutschen Einheit die Lücken auf den S-Bahn-Strecken Wannsee– Potsdam, Frohnau–Hohen Neuendorf und Lichtenrade–Blankenfelde geschlossen worden. Doch weiterhin gibt es keine der eigentlich geplanten S-Bahn-Verbindungen zwischen Lichterfelde Ost und Teltow oder zwischen Tegel und Hennigsdorf. Statt der versprochenen S-Bahn fährt zwischen Spandau und Falkensee nur die Regionalbahn, weil Berlin es versäumte, bei der Renovierung der Fernbahngleise durch den Bund auf den gleichzeitigen Bau eines zweiten S-Bahn-Gleises zu beharren.

Das Fiasko von Falkensee ist für den grünen Fusionsbefürworter und Verkehrsexperten Michael Cramer ein gutes Argument für die Länderehe: „Ein einheitliches Land hätte viel mehr Druck auf den Bund machen können, die S-Bahn gleich mitzubauen.“ Die Fusion ist für Cramer auch im Verkehrsbereich eine gute Idee – man müsse sie eben nur wollen: „Mit dem jetzigen Senat ist das schwer. Wer schon verkehrstechnisch die Vereinigung Berlins so schlecht bewältigt und den ÖPNV so benachteiligt hat, wird dies mit der Vereinigung mit Brandenburg nicht besser machen.“

Da ist Ural Kalender, Abteilungsleiter für Verkehrsplanung im Hause von Bau- und Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU) anderer Meinung: Beim Lückenschluß seien Straße und Schiene gleich behandelt worden, einen Vorzug für die Straße gebe es nicht. Kalender erhofft sich für seine Verwaltung nach einer Fusion vor allem eine gesteigerte Effizienz, weil die Abstimmung zwischen den Landesregierungen wegfallen könnte. Zwar werde es auch weiterhin Absprachen zwischen Berlin und den Umlandgemeinden geben müssen, doch im Konfliktfall gebe es dann als Schiedsrichter die Instanz der gemeinsamen Landesregierung.

Auf eine gemeinsame Regierung und Verwaltung, die einem gemeinsamen Parlament verantwortlich ist, hofft auch Cramer. „Als Berliner Abgeordneter kann ich bisher nur Anfragen über Verkehrsprojekte auf Berliner Boden stellen. Was in Staatsverträgen geregelt wird, entzieht sich meiner Kontrolle.“ Auch werde eine Fusion dem „Ausspielen der Verkehrskritiker untereinander“ ein Ende machen, ist seine Hoffnung: „Zum Beispiel hat man uns hier in Berlin beim Ausbau der B101 zwischen Tempelhof und Großbeeren erzählt, es müsse vierspurig gebaut werden, weil Brandenburg das so wolle. Und den Brandenburgern wurde erzählt, vierspurig müsse sein, weil Berlin das so plane.“

Andersherum verweise beim Ausbau des Schienenverkehrs jedes Land für das eigene Nichtstun auf das angebliche Nichtstun des anderen Landes, meint Cramer. „Die Fusion macht keine bessere Verkehrspolitik, aber sie schafft die Voraussetzung für eine Wende in der Verkehrspolitik.“

Auch die Brandenburger Grünen, die sich gegen die Fusion ausgesprochen haben, sehen den Bedarf an „engerer Zusammenarbeit“ im Verkehrsbereich. Doch sie erwarten von der Länderehe keine Vorteile, die eine Fusion rechtfertigen würden.

An einem anderen Punkt haben die Verkehrsverwaltungen bereits die Realität einer gemeinsamen Region vorausgenommen: Anfang 1997 soll der „Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg“ stehen: Tarife, Fahrpläne, Aussehen und Informationen zum öffentlichen Nahverkehr auf den 29.000 Quadratkilometern Brandenburg sollen mit den 890 Quadratkilometern Berlin vereinheitlicht werden – ob mit oder ohne Fusion.