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■ Ein Günzburger Heilpraktiker als SchamaneDer Medizinmann aus der Moderne

Günzburg (taz) – Den merkwürdigsten Eindruck macht Reinhard Schönl auf Menschen, die ihn nicht kennen, morgens zwischen acht und neun Uhr. Dann nämlich, wenn er im Günzburger Ortsteil Reisensburg auf der sogenannten „Märchenwiese“ neben der Psychiatrischen Klinik einen Bisonschädel auf den Boden legt, seine „Heilige Pfeife“ aus dem roten Tuch wickelt und den Rauch in alle vier Himmelsrichtungen bläst. „Natürlich weiß ich, daß die Leute denken, ich sei verrückt“, sagt der Heilpraktiker. Aber bei seiner Zeremonie läßt er sich deshalb trotzdem nicht stören.

Die ihn näher kennen, respektieren dies mit einer gewissen Selbstverständlichkeit. Der Mann, der ein in unseren Gefilden so merkwürdiges Verhalten an den Tag legt, ist amtierender Medizinmann der Kukukuku, einem kriegerischen Stamm im Hochland von Papua-Neuguinea, wo er – als einziger Weißer überhaupt – in den Kreis der „Heiler unter Heilern“ aufgenommen wurde.

Von Reinhard Schönl lassen sich sogar die Medizinmänner selbst behandeln, wenn ihnen mal was fehlt und, zwar nicht nur bei den Kukukuku, sondern auch bei den Sioux-Indianern. Wenn dieser bärtige, ruhige Mann von seinen Reisen erzählt, wenn er sein alltägliches Ritual erläutert, ist man schnell geneigt, sein vielleicht etwas vorschnelles Einordnen in die Rubrik „Spinner“ zu überdenken.

Seit über zwanzig Jahren reisen Reinhard Schönl und seine Frau Petra in die entlegensten Regionen der Welt. Bei den Kopfjägern in Indonesien haben sie gelebt, bei den Sioux-Indianern, auf kleinen Südseeinseln und in so manchen unwirtlichen Gegenden Afrikas. Alleine siebenmal besuchten die beiden Günzburger den Stamm der Kukukuku. Diesen Namen haben benachbarte Stämme den gefürchteten Kriegern gegeben. Sie sind Räuber, die nicht nur Frauen und Kinder raubten, sondern auch Grund und Boden der schwächeren Nachbarstämme.

Dieses Volk, das erst 1968 entdeckt wurde, hat die Schönls ganz besonders beschäftigt. Kein anderer Stamm der Welt beherrscht die Deutung von Mimik und Gestik, beherrscht die Körpersprache so perfekt wie die Kukukuku, berichtet Reinhard Schönl. In einem ihrer Dörfer ist der weiße Mann mit dem grauen Bart aufgenommen worden. Die Kranken kamen zu ihm, und die führenden Medizinmänner testeten ihn und seine heilerischen Fähigkeiten in schier unbeschreiblichen Zeremonien. „Ich war am Rande des körperlichen Zusammenbruchs“, erinnert sich der Naturheilkundler, der schließlich nach unendlichen Ritualen zum „Medizinmann ersten Grades“ geweiht wurde.

Schönl hat in den vergangenen dreizehn Jahren alleine bei den Kukukuku 5.000 Meter Film gedreht; als einziger Weißer darf er ganz offiziell ihre geheimsten Rituale dokumentieren, die es in wenigen Jahren wahrscheinlich nicht mehr geben wird. „Weil“, so Schönl, „auch hier die Zivilisation rasend schnell Fuß faßt, der Fortschritt von den Jüngeren um jeden Preis herbeigesehnt wird.“ Die letzten Naturvölker, die archaischen Indianer-Stämme, die Buschmänner – alle hat er besucht, mit allen haben er und seine Frau zusammengelebt. Mit den Sioux war er auf Bärenjagd, mit den Buschmännern der Kalahari hat er Ameisenbären gefangen. Die Giftpfeile, gegen die es noch immer kein Gegenmittel gibt, liegen in seiner Günzburger Wohnung.

Reinhard Schönl lebt für diese Reisen, für solche Erfahrungen, wie er und seine Frau sie jüngst bei einem Trip zu den Himba, einem Volk im Nordwesten Namibias und bei den Buschmännern gemacht haben. Nach einer widrigen Anfahrt, die mehrere Tage in Anspruch nahm, stießen die Schönls mit ihrem Dolmetscher auf eines der gesuchten Himba-Dörfer. Die Himba, ein Hererovolk, sind bekannt für ihre sienarote Bemalung, die jeden Morgen aus Tonerde hergestellt und aufgetragen wird. „Ausgesprochen schöne Menschen“, berichten die Schönls, die freilich zunächst gar nicht so willkommen waren.

Neben einem menschenleeren kleinen Dorf, dessen unbewohnte Grashütten mit Decken verdeckt waren, zelteten sie. Am nächsten Morgen stieg der Medizinmann Schönl aus seinem Dachzelt, drehte sich um und sah drei Himba-Krieger vor sich stehen. „Die hatten ihre Gewehre auf mich angelegt. Ich hab' denen gewunken, dann sind sie – noch immer mit den Gewehren im Anschlag – auf mich zugekommen.“ Es ging einmal mehr gut. Die Himba, bei denen die beiden Günzburger dann eine Woche blieben, erzählten ihnen später, sie hätten gedacht, daß die Fremden ihr Dorf überfallen wollten, als sie mit den Tieren unterwegs waren. „Dann haben sie beschlossen, uns am nächsten Morgen zu töten.“

Ein paar Wochen später – bei den Buschmännern – dann ein ganz anderes Erlebnis. Beim Fußmarsch durch die Steppe stoßen sie auf fünf Löwen, drei Weibchen und zwei Männchen. „Die waren etwa dreißig Meter weg und haben geschlafen.“ Bei den Buschmännern haben Petra und Reinhard Schönl einige ungewöhnliche Erfahrungen gemacht. „Die sind überhaupt nicht neugierig. Die haben nicht eine einzige Frage gestellt, woher wir kommen, wie wir in Deutschland leben. Außerdem teilen die nichts ein. Wenn man denen Tabak gibt, rauchen die Tag und Nacht, bis alles weg ist.“

Auf dem Rückweg hatten sie noch eine erfreuliche Begegnung. Sie trafen den wohl berühmtesten Buschmann der Welt, Xgao, Hauptdarsteller in dem Film „Die Götter müssen verrückt sein“. Der konnte es kaum glauben, daß seine Filme immer noch gezeigt werden. „Er war richtig gerührt und erfreut über unseren Besuch.“

Urlaub von der Stange kommt für das Ehepaar Schönl nicht in Frage. Und daheim, wenn sie wieder monatelang in Günzburg leben und arbeiten, bleibt das Erlebte präsent. Zum Beispiel das indianische Ritual mit dem Bisonschädel und der Heiligen Pfeife, mit den Symbolen des Universums und der vier Himmelsrichtungen. Klaus Wittmann

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