Shoot-Out am Melrose Place

Prominente Kicker jedweder Couleur sorgen bislang für hohe Zuschauerzahlen und befriedigende Torquoten in der Fußball-Liga der USA  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Das war nicht der Auftakt, den sich die salvadorenische Fangemeinde im Washingtoner Stadtteil Mount Pleasant erwartet hatte. Drei Spiele, drei Niederlagen. Nicht einmal der Name hält bisher, was er verspricht: Die Spieler von DC United kicken, als würden sie sich noch nicht mal beim Vornamen kennen. Aber wenigstens haben sie in ihrem ersten Heimspiel endlich ein Tor geschossen. Und daß der Schütze ausgerechnet Raúl Díaz Arce heißt, tröstet die salvadorenischen Immigranten in der Hauptstadt – vor allem Xavier Romero, der das Tor seines Landsmannes im Neonlicht eines Supermarktes bereits mit mehreren Dosen Bier und ein paar schärferen Getränken begossen hat.

„Es lebe Raúl, es lebe El Salvador“, sagt er mit nicht mehr allzu koordinierter Zunge. Es lebe der Fußball in Amerika. 35.032 Washingtoner, darunter ein noch nüchterner Xavier Romero, waren an diesem Samstag zum ersten Heimspiel von DC United ins Robert-F.-Kennedy-Stadion gewandert – wieder einmal weit mehr als die Verantwortlichen der „Major League Soccer“ (MLS) für die erste Saison erwartet hatten. 31.000 waren zum „historischen“ Auftaktspiel zwischen San Jose Clash und DC United in San Jose gekommen. Ein paar Tage später füllten 70.000 euphorische Fans das Rose Bowl-Stadion in Los Angeles, um eine Sportart zu bejubeln, die die meisten US-Sportkommentatoren immer noch zutiefst unamerikanisch finden.

Noch kurz vor Beginn der Fußball-WM in den USA hatte ein Sportkolumnist der New York Times seinen Lesern Soccer als ödes Schauspiel beschrieben, bei dem „22 Männer in unmodisch kurzen Hosen über ein Spielfeld von der Größe der russischen Tundra rennen“, und eine Ewigkeit vergehe, bis man endlich über ein Tor jubeln könne. Nach dem Spiel der Metro Stars aus New York gegen die Los Angeles Galaxy am vorletzten Sonntag in der Rose Bowl mußte die New York Times anerkennend einräumen, daß sich mehr „Angelenos“ zum Fußballspiel eingefunden hatten als im benachbarten Dodger Stadium, wo die Hauptattraktion des amerikanischen Baseball, der japanische Pitcher Hideo Nomo, seinen Gegnern „curve balls“ und „fast balls“ entgegenschleuderte.

Dem Spielbericht war sogar ein gewisser lokalpatriotischer Neid zu entnehmen. Nicht nur, weil die Metro Stars 1:2 verloren hatten, sondern auch, weil Los Angeles Galaxy eindeutig die schillernderen Spielerpersönlichkeiten aufboten. Allen voran Andrew Shue, ehemals College-Spieler und Star der Soap-Opera „Melrose Place“, dessen Einwechslung gegen Spielende von weiblichen Zuschauerinnen mit schrillen Entzückungsrufen quittiert wurde; Cobi Jones, rasta-gelockter Flügelflitzer aus der WM-Mannschaft der USA mit MTV-Appeal und Jorge Campos, mexikanischer Nationaltorwart mit einer Vorliebe für schrille Spielkleidung und weite Ausflüge ins Spielfeld.

Dank Campos fing für die Washingtoner Fans an diesem Samstag alles gut an. Der Mexikaner, dieses Mal in dezentes Zitronengelb gehüllt, lungerte zehn Meter vor dem Tor herum, als Raúl Díaz Arce, der König von Mount Pleasant, den Ball in wunderschönem Bogen über Campos ins Tor hob. Zwölf Jahre nach dem Niedergang der „North American Soccer League“, der einst Pelé, Beckenbauer und Cruyff Leben einhauchen wollten, wurde in Washington zum ersten Mal wieder über ein Fußballtor gejubelt. Lang lebe Díaz Arce. Lang lebe El Salvador.

Die Spitzenspieler in der neuen US-Profiliga wurden von der neuen „Major League Soccer“ (MLS) den zehn Clubs zugewiesen. Daß Díaz Arce in Washington landete, ist kein Zufall. Denn die Verantwortlichen der MLS informierten sich vorab über das ethnische Gefüge der zehn Städte. Weil sich in Washington viele salvadorenische und bolivianische Immigranten niedergelassen haben, wurden neben Díaz Arce auch die beiden bolivianischen Stars Marco Etcheverry und Juan Berthy Suárez zu DC United geschickt. Die Metro Stars bekamen aufgrund der großen italo-amerikanischen Gemeinde in New York und New Jersey, wo die Gazzetta dello Sport zur Nachmittagslektüre vieler Senioren gehört, Roberto Donadoni vom AC Mailand sowie Tony Meola zugeteilt, den Sohn italienischer Einwanderer und Torhüter des US-WM-Teams. Kolumbiens Carlos Valderrama schickte die MLS zu den Tampa Bay Mutineers nach Florida, dem „Tor zu Lateinamerika“ und der Heimat zahlreicher Landsleute von Valderrama. Alexi Lalas, Abwehrspieler aus WM-Zeiten und zuletzt in Italien unter Vertrag, ist zwar griechischer Abstammung. Doch seine wuselige Haarmähne ist rot genug, um ihn der irisch dominierten Fangemeinde in Boston und der New England Revolution zuzuschlagen. Man merkt, daß bei der Namensgebung der Vereine wahre Poeten am Werk waren.

Hätte die MLS Carlos Valderrama in die Hauptstadt Washington beordert, wo es schließlich auch einige Kolumbianer gibt, hätte er vielleicht die Abwehr von DC United etwas besser instruieren können, die an diesem Samstag das alteingesessene amerikanische Vorurteil bestätigte, daß man einen Ball einfach nicht mit den Füßen tritt. Einige Fehlpässe und Abpraller vor die Füße des Gegners konnte Washingtons Torhüter Jeff Causey noch ausputzen. Dann stand es 1:2 für Los Angeles. Da halfen auch die wegweisenden Analysen des Sportkommentators nicht: „DC United braucht nur ein Tor. Dann steht es unentschieden.“ Das Tor fiel nicht – und den Zuschauern blieb die amerikanische Sonderregel für diesen Fall versagt. Bei einem Remis nach regulärer Spielzeit gibt es den „Shoot-Out“ mit je fünf Spielern, eine Mischung aus Elfmeterschießen und Eishockey-Penalty.

Doch die 35.000 gingen nach 90 Minuten ganz zuversichtlich und fröhlich nach Hause. Eltern mit Kindern, die in der Schule kicken; Botschaftsangestellte, Austauschstudenten und Auslandskorrespondenten, die jeden Sonntag auf der Wiese vor dem Kapitol spielen; Latinos, die in Mount Pleasant längst eine Stadtteilliga organisiert haben. Sie vor allem hoffen auf den Anbruch einer neuen Ära, in der „futból“ für ihre Kinder in den USA das werden kann, was Basketball für die schwarzen Kids in den Großstädten ist: Ein Tor zum Reichtum und zum Leben eines Super-Stars – oder wenigstens die Illusion. Die gilt nur für Söhne, wohlgemerkt. Daß in den USA mehr Mädchen als Jungen Fußball spielen, hat in den ersten Wochen der US-Profiliga noch niemand erwähnt.