Blattlinie mildern

■ Fotomontage mit personellem Nachspiel: Der "profil"- Herausgeber Hubertus Czernin soll abserviert werden

Die Brust des nackten Kanzlers schien stolz geschwellt unter dem dichten schwarzen Brusthaar, die Hände verdeckten unverkrampft das bloße Geschlecht. Selbstbewußter Blick, direkt in die Augen der erstaunten Leser. „Des Kaisers neue Kleider“ stand daneben, der nackte Regierungschef ein Symbol für den Sparwillen der neuen Regierung. Franz Vranitzky, alter und neuer Bundeskanzler aller Österreicher, glänzte also nackt vom Titelblatt 11/96 des Nachrichtenmagazins profil herunter. Er hatte gerade die längsten Koalitionsverhandlungen der Nachkriegszeit hinter sich gebracht. Und Österreich war ein kräftiges Sparpaket verordnet worden.

Seitdem will keine Ruhe mehr einkehren bei profil. Ein „Rotzartikel“, schimpfte der Bundeskanzler ernsthaft verletzt, und die Geschäftsführerin seiner sozialdemokratischen Genossen sah gar die „persönliche Würde des Kanzlers“ und das „Ansehen der Republik Österreich“ gefährdet. Der Kanzler erwirkte umgehend eine einstweilige Verfügung. Das Blatt durfte nicht mehr ausgeliefert werden. Tatvorwurf: Veröffentlichung einer Fotomontage. Auch der Presserat hat schon gerügt.

Jetzt folgt der Nachschlag. Hubertus Czernin, eloquenter und kritischer Herausgeber von profil, könnte wegen dieser „Verfehlung“ bald arbeitslos sein. Denn die Eigentümer der Zeitschrift zeigten sich „entsetzt über diese Geschmacklosigkeit“. Pikanterweise scheint gerade der deutsche Minderheitsgesellschafter starkes Interesse daran zu haben, den unbequemen Czernin aus dem Blatt zu hebeln. Günter Grotkamp, Geschäftsführer der mit 45 Prozent an profil und weiteren großen österreichischen Medien beteiligten WAZ-Gruppe: „In Deutschland wäre so etwas nicht denkbar.“ Offiziell führt er allerdings wirtschaftliche Gründe für den Austausch des Journalisten an. Allein, profil hat seit 1994 seine Reichweite in Österreich um 24 Prozent auf 8,5 Prozent erhöht.

„Wir sind der Meinung“, schrieb 1970 profil-Gründer Oscar Bronner, „daß es in Österreich endlich eine Zeitschrift geben sollte, die intelligente Menschen unabhängig von allen Interessengruppen über die Hintergründe des politischen Lebens informiert.“ Ein schwieriger Vorsatz in einem Land, in dem auch heute noch die meisten Zeitungen durch komplizierte Eigentümerstrukturen von Parteien und Interessengruppen beeinflußt werden.

Und wirklich: profil hat als investigatives, einigermaßen unabhängiges Nachrichtenmagazin nach wie vor ein Monopol. Ein ernsthafter Konkurrent ist nur das Infotainment-Magazin News, Vorlage für den eingestellten deutschen Tango. Jetzt geht es also dem Herausgeber an den Kragen. „Das ist ein Anschlag auf die innere Pressefreiheit“, sagt Christa Zöchling, Vertrauensredakteurin bei profil. „Die Redaktion hat einstimmig beschlossen, daß nur Hubertus Czernin die unabhängige Blattlinie garantieren kann.“

Seit nun letzten Montag erstmals der Name des angeblichen Nachfolgers durch die Presse ging, ist die Luft im Redaktionsgebäude elektrisiert. Der neue Kandidatat habe kein Rückgrat, heißt es. „Das ist ein Karrierejournalist mit dem richtigen Parteibuch.“ Den ORF- Hauptabteilungsleiter Helmut Brandstätter haben sich die Eigentümer ausgesucht. Die Verhandlungen seien schon weit gediehen.

Der passionierte Jäger Christian Konrad gilt als einer der mächtigsten Zeitungsmänner des Landes, ist starker Mann und Chef der Medienbeteiligungen beim Raiffeisenverband Österreichs. Raiffeisen gehören 55 Prozent von profil. Auch am Kurier, der drittgrößten Zeitung des Landes, an der Wirtschaftswoche und der Autorevue ist Raiffeisen indirekt mit über 50 Prozent beteiligt. „Mit wem ich den Posten des Herausgebers besetze, ist meine Sache“, soll Konrad zu profil-Redakteuren gesagt haben, die ihn um ein Gespräch gebeten hatten. Offiziell gibt er zum Thema keine Stellungnahme ab. Nicht umsonst ist Konrad Landesjägermeister von Niederösterreich. Das Warten bis zum Abschuß ist er gewöhnt.

Der wahre Grund für die Abberufung Czernins könnte allerdings tiefer liegen als in der „Empörung“ über ein harmloses Titelblatt. Konrad und seine Bauernorganisation brauchen dringend das Wohlwollen des Bundeskanzlers. Den österreichischen Bauern geht es nicht besonders, der EU-Beitritt im letzten Jahr hat sie mitgenommen. Da ist es immer gut, in vorauseilendem Gehorsam die kritische Linie des Blattes zu mildern.

Seit letzten Freitag gibt es allerdings Widerstand. Ausgerechnet der Chefredakteur der Austria Presseagentur (APA), berufsmäßig regierungsnah, initiierte eine Unterschriftenliste gegen die Kündigung. Über 100 Intellektuelle haben schon unterschrieben. Unter ihnen Heide Schmidt, Simon Wiesenthal, André Heller und Hermes Phettberg. Daniel Asche