■ Mit dem Castor-Polizeifilm auf du und du: Fernsehratgeber
Hannover (taz) – Die Briefe aus der Polizeiinspektion Rotenburg gingen an mehr als ein Dutzend Fensehsender oder auch frei arbeitende Kamerateams. Die Bitte, die Polizeirat Tietz an alle Bildberichterstatter richtete, die beim ersten Castor-Transport registriert worden waren, steht eigentlich im Widerspruch zu den Regeln des Journalistenhandwerks. Angeblich ausschließlich, um einen Lehrfilm für Polizeibeamte zu erstellen, bat der Polizeirat da ganz pauschal, „uns von Ihnen gefertigtes Bildmaterial vom Castor-Transport zur Verfügung zu stellen“.
Vorzugsweise AKW-Gegner in Aktion, Szenen von Sitz- oder Treckerblockaden zeigten die Fernsehbilder von ersten Gorlebener Transport im April letzten Jahres. Die Szenen konnten ohne weiteres aufgenommen werden, weil sich die Castor- Gegner sicher waren, daß es ein Redaktionsgeheimnis gibt, daß das Filmmaterial nicht anschließend oder eines Tages zur Auswertung bei der Polizei landet. Um so mehr erstaunt es, daß nach Angaben von Polizeirat Tietz die Mehrzahl der angeschriebenen Sender oder Fernsehteams seiner Bitte gefolgt ist. Der NDR habe für den polizeilichen Film nur gesendetes Material zur Verfügung gestellt, schränkt Tietz zwar ein, doch etwa ein halbes Dutzend anderer Sender hätten der polizeilichen Bitte ohne jede Einschränkung entsprochen, ihm auch nicht gesendetes Filmmaterial zugeschickt.
Der Lehrfilm ist inzwischen fertig. Er führt nach Angaben von Tietz in die Geschichte des Castor-Widerstandes ein, beschäftigt sich mit der Strahlenbelastung von Polizeibeamten (und soll ihnen beweisen, daß sie nicht gefährdet sind) und zeigt verschiedene Ausprägungen des Castor-Protests: vom „Chaoten“ bis zum demonstrierenden Bauern. Auch die verschiedenen Formen des Protestes gegen den Transport werden dokumentiert. Mit dem Lehrfilm bereiten sich vor allem die Polizisten vor, die aus anderen Bundesländer zum zweiten Transport nach Niedersachsen geschickt werden sollen. Das umfangreiche Bildmaterial, von dem nur ein kleiner Teil Eingang in den Film gefunden hat, hat allerdings bis heute nicht den Weg zurück in die Redaktionsstuben gefunden. „Das Material haben wir hier noch vorliegen“, lautet die Auskunft des Rotenburger Polizeirats, der sogleich versichert, „daß aufgrund der Bilder keinerlei Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sind“. Dies mag zutreffen. Und dennoch ist es keineswegs Aufgabe von Bildberichterstattern, die für ihre Bewegungsfreiheit ja auch das Vertrauen der Demonstranten brauchen, sich zum Handlanger der Staatsanwaltschaft zu machen und den nächsten Polizeigroßeinsatz vorbereiten zu helfen. Jürgen Voges
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