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Marode Bogen für den Castor

DemonstrantInnen in der Gegend von Gorleben wollten gefährliche Brücken markieren – die Polizei war dagegen  ■ Aus dem Wendland Jürgen Voges

Mal oben auf einen Damm, mal unten im Tal, über viele alte Brücken hinweg oder unter ebenso alte Bauwerke durch – so schlängelt sich die eigentlich schon stillgelegte Eisenbahnlinie durch das hügelige Gelände von Uelzen ins 42 Kilometer entfernte Dannenberg. Auf dieser Strecke, deren „Molzener Brücke“ das Ziel dieser samstäglichen Anti-Castor-Demo ist, fuhr der erste Behälter mit hochradioaktivem Müll in Richtung Gorleben, und auch der zweite mit den Überbleibseln der Wiederaufarbeitung aus Frankreich muß Anfang Mai entweder die Bahnlinie Uelzen–Dannenberg oder die nördliche Strecke von Lüneburg zur Dannenberger Umladestation passieren.

Auf über einen Kilometer Länge hat sich auf der Kreisstraße neben der Bahnlinie der Zug aus Radfahrern, Fußgängern, drei Treckern mit Anhängern und auch Autos auseinandergezogen. Die Stimmung ist so prächtig wie das Wetter. Nicht nur in Uelzen, wo diese 600 AKW-Gegner gestartet sind, auch an der nördlichen Strecke sind am dritten Protestwochenende bei Lüneburg und Dahlenburg Demos unterwegs.

Im Landkreis Uelzen bei Bad Bevensen ist auch die Geschichtsstudentin Sonja Begalke zu Hause, der zusammen mit ihrem Freund der blaue Lautsprecherwagen gehört. Der sorgt gerade mit Rock- und Popmusik für Stimmung. „Für die Polizeieinsätze stehen Zigmillionen zur Verfügung, aber für die Brückensanierung, für die Sicherheit der Bevölkerung, ist angeblich kein Geld da“, sagt die 24jährige, die in Hannover Geschichte studiert und die Wochenenden im heimatlichen Landkreis dem Castor-Widerstand widmet.

Sieben Kilometer hinter Uelzen an der Molzener Brücke gibt es Kaffe und Kuchen, Kinder lassen dreihundert Luftballons mit Tag- X-Hoch-2-Postkarten starten. Hier stehen der Demo dann beinahe gleich viele Polizisten und Grenzschützer gegenüber – als wolle die Polizei Sonjas Behauptung noch einmal unterstreichen. Vor allem die BGS-Beamten sind nervös, wohl weil die Polizei in der Unterzahl war, als in der vergangenen Woche am Dannenberger Ostbahnhof Bahnschwellen brannten. Ein Transparent mit einer Anti-AKW-Sonne hängt so nicht lange, erst nach zähen Verhandlungen hängen es zur allgemeinen Freude zwei Polizisten wieder auf. Die Bürgerinitiative Dannenberg sprach von neun Festnahmen und staatlichen Greiftrupps, die „mit extremer Härte friedlich auf der Staße malende Menschen abgegriffen haben“. Nach Angaben der Polizei sind bei den „insgesamt friedlichen“ Demonstrationen sechs Personen vorübergehend festgenommen worden.

Daß viele der Brücken, über die der Castor zwangsläufig rollen müßte, nicht mehr für Schwertransporte geeignet sind, ist durch Untersuchungen von Gemeinden ans Tageslicht gekommen, die für den Unterhalt der Brücken zuständig sind. Das finanziell mit dem Unterhalt total überforderte Stoetze hat alle Übergänge auf seinem Gemeindegebiet analysieren lassen. Am Samstag konnte die Grünen-Landtagsabgeordnete Rebecca Harms bei der Auftakt- kundgebung in Uelzen aus diesen Gutachten zitieren. Ein Hamburger Ingenieurbüro hat demnach festgestellt, daß „die Tragfähigkeit der Brücken und die Verkehrssicherheit nicht gegeben sind, weil die Standsicherheit des Gewölbes eingeschränkt ist“.

An den Brücken in Stoetze bröckelt der Putz, die Risse sind bis zu zehn Zentimeter breit. Nicht nur das Gewölbe, auch die Stützmauern, die an den Seiten den Bahndamm halten, sind morsch. Nach der Demo und der Aktion in Molzen sind am Samstag noch kleine Gruppen von Castor-Gegnern ausgeschwärmt, um die Schäden längs der Strecke per Foto zu dokumentieren. So setzte sich das Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei noch bis in den späten Nachmittag fort. Die lediglich mit dem Fotoapparat bewaffneten jungen Leute, die auch schon mal vor Ort gleich statische Brechnungen auf die Straße malten, versetzen Polizei und Bundesgrenzschutz in helle Aufregung.

An allen drei Orten der „Aktion B“ (wie Brücke) waren am Samstag wieder insgesamt gut tausend AKW-Gegner unterwegs. Bei Dahlenburg durften Schüler unter den Augen der Polizei ein Castor- Modell von einer Brücke werfen und dann die Folgen szenisch darstellen.

Schlechter erging es den 200 Atomgegnern, die von Lüneburg aus an der Strecke nach Dannenberg entlangzogen, sie wurden zwischenzeitlich eingekesselt, und auf einige schlug die Polizei auch mit dem Knüppel ein.

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