Atomteststopp noch für 1996 geplant

Einigen geht die Abrüstung zu schnell. Am Rand des G7-Jelzin-Wahlkampf-Gipfels: Tschernobyl wird bis spätestens 2000 abgeschaltet, der erste Block vielleicht noch in diesem Jahr  ■ Aus Moskau Barbara Kerneck

Eine umfassende atomare Sicherheitszone in Europa scheint nach dem letzten Wochenende keine reine Utopie mehr zu sein. Am Freitag und Sonnabend in Moskau einigten sich die Regierungschefs der G7-Staaten (USA, Kanada, Japan, Deutschland, England, Frankreich und Italien) mit dem russischen Präsidenten Jelzin, noch in diesem Jahr „alle nuklearen Waffentestexplosionen und jede andere atomare Explosion“ zu verbieten. Unter Dach und Fach gebracht werden soll das Abkommen im Herbst.

„Wir wären schon heute bereit zu unterschreiben, aber da ist China“, tönte Boris Jelzin. Natürlich erklärte er sich auch gleich bereit, dieses hehre Ziel bei seinem bevorstehenden Staatsbesuch in Peking zu verfolgen. Der russische Präsident konnte zufrieden sein. Ursprünglich war der Gipfel nur dem Thema der atomaren Sicherheit gewidmet. Wegen der brisanten internationalen Lage kam es aber zu Konsultationen über zahlreiche Krisenherde der Welt. Jelzin als dem Hausherren fiel dabei nach außen hin die Rolle des ehrlichen Maklers zu. Sie kommt ihm im Wahlkampf mehr als gelegen.

Wasser auf seine Mühlen war auch das Gipfel-Geflüster. Es besagte: „Rußland wird mit Sicherheit im Juli als Nr. 8 in den illustren Club aufgenommen – vorausgesetzt allerdings, ein drastischer Machtwechsel bei den Präsidentenwahlen im Juni bleibt aus.“

Ein Gastspiel des ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma brachte den zweiten Durchbruch auf der Tagung. Zehn Jahre nach der größten technischen Katastrophe in der Geschichte steht endlich fest: das Kernkraftwerk von Tschernobyl wird bis zum Jahre 2000 stillgelegt. Aller Wahrscheinlichkeit nach stellt der erste Reaktorblock mit seinen weitgehend abgebrannten Brennelementen sogar noch dieses Jahr die Arbeit ein. Kutschma nahm sich neben den „Weißen Riesen“ Clinton, Kohl und Jelzin klein, grau und beamtenhaft aus. Demütig unterschrieb er das Dokument, demzufolge die Ukraine vom Westen nur 3 Milliarden Dollar Entschädigung für die Stillegung bekommt, und nicht die geforderten viereinhalb Milliarden.

Trotz dieser Resultate sehen sich die russischen und ukrainischen Umweltgruppen in ihrem Geunke bestätigt. „Das ist wie das Zurechtrücken von Liegestühlen auf der ,Titanic‘“, hatte schon am Freitag ein Greenpeace-Vertreter die G7-Tagesordnung kritisiert, weil bei dem Round-table-Gespräch zahlreichen Fragen der atomaren Sicherheit nur fünf Stunden gewidmet waren. In Sichtweite des Kreml befestigten die GreenpeacelerInnen an Bojen auf dem Moskwa-Fluß ein Riesentransparent mit der Aufschrift: „Keine Tschernobyls mehr, ein Nein den Atomreaktoren“. Wie zum Trotz wird nun im Abschlußdokument des Gipfels lediglich von der Erhöhung der Sicherheit der 13 Reaktoren des Tschernobyl-Typs in der GUS gesprochen. Das ist ein klarer Rückschritt gegenüber dem Jahr 1994, als die G7-Konferenz noch deren Schließung forderte.

Alle Teilnehmer waren sich diesmal zwar einig, daß den Plutonium- und sonstigen Schmugglern spaltbarer Materialien das Handwerk gelegt werden müsse. Es blieb aber bei der Erklärung der guten Absicht. Dafür will Rußland künftig auch die Versenkung von Atommül im Meer stoppen.

Ein weiterer Passus des Abschlußdokumentes dürfte bei der russischen Atomlobby auf größte Opposition stoßen. Demzufolge soll das gemeinsame Vorgehen bei Aufbewahrung und Wiederaufbereitung atomarer Materialien das nächste Ziel nach dem Teststopp bilden. Noch am Vorabend des Treffens hatten Vertreter des russischen militärisch-industriellen Komplexes erklärt, das Tempo der Abrüstung sei im Moment zu hoch, um umfassende Sicherheit beim Umgang mit den dabei anfallenden Materialien im Lande zu garantieren. In diesen Kreisen hält sich hartnäckig die Meinung, Abrüstung sei eigentlich noch gefährlicher als Aufrüstung.