„Minenopfer brauchen keine Schuhe“

Mit symbolischen Aktionen demonstrierten am Samstag in rund 50 Städten und Gemeinden humanitäre Organisationen für ein umfassendes Verbot aller Landminen  ■ Aus Berlin Torsten Teichmann

Ein stechender Ledergeruch weht vor dem Brandenburger Tor in Berlin. Touristen stehen vor 200.000 alten Schuhen, die auf der linken Seite des Pariser Platzes zu einem vier Meter hohen Berg aufgetürmt sind. Leder- und Stoffschuhe, Stiefel, Sandalen oder Turnschuhe. Davor stehen Demonstranten mit Plakaten: „Minenopfer brauchen keine Schuhe.“

In über 50 deutschen Städten und Gemeinden demonstrieren am Sonnabend humanitäre und Menschenrechtsorganisation unter der Schirmherrschaft der evangelischen und katholischen Kirche für ein Verbot von Landminen. Ihr Protest beginnt symbolisch fünf vor zwölf.

„Landminen sind Massenvernichtungswaffen“, sagt Kambiz Behbahani, vom Bundesvorstand der Bündnisgrünen, einer der Mitorganisatoren der Zentralveranstaltung in Berlin.

Nach Unicef-Angaben sind seit 1973 eine Millionen Menschen, darunter überwiegend Frauen und Kinder, durch Landminen ums Leben gekommen. Jeden Monat sterben 800 bis 1.200 Menschen. Weit mehr, bis zu 25.000 werden verstümmelt. Die Bundesregierung will Antipersonenminen bei der Bundeswehr abschaffen. In die Entwicklung von High-Tech-Antipanzerminen werden aber weiterhin Millionen von Mark investiert.

Heute beginnen in Genf die Nachverhandlungen über das Minenprotokoll von 1980. Die regierungsunabhängigen Organisationen wollen Druck auf die Delegierten der internationalen Konferenz ausüben. Peter Strobinski vom Solidaritätsdienst International erinnert an die ergebnislos abgebrochene UN-Konferenz im Herbst vergangenen Jahres: „Aber auch damals hat sich auf den Wiener Wandelgängen gezeigt, daß man mit Lobbyarbeit etwas erreichen kann.“ Vier Wochen lang hat er bei Recyclingfirmen in Sachsen, Brandenburg und Baden-Württemberg Schuhe gesammelt. Hinzu kommt mitgebrachtes Schuhwerk von Demonstranten. Aber nur ein paar hundert Menschen kommen zum symbolträchtigen Ort, der ehemals lebensgefährlichen Grenze zwischen Ost und West.

Auch in Halle hätte man sich mehr Resonanz gewünscht. Auf dem Markt unter dem Händel- Denkmal sammeln MitarbeiterInnen von Unicef Unterschriften für ein Minenverbot. „Besonders viele junge Leute waren daran interessiert“, erklärt Unicef-Mitarbeiterin Renate Anders. Das gleiche gilt für Kiel oder Münster.

Für die Münsteraner gibt es kein Vorbeikommen an dem Thema. Am zentralen Platz der Fußgängerzone, an dem sich vier Straßen treffen, haben terre des hommes und Unicef ein Minenfeld aus Attrappen, alten Schuhen und Blumen aufgestellt. „Wir haben mit Tausenden Interessierten gesprochen“, erzählt Mitorganisatorin Edith Moldrick. Auch Bosnier und Iraner sind gekommen, die im Gespräch spontan von ihren Kriegserfahrungen berichten.

Auch in der Saarbrückener Fußgängerzone breitet sich ein fiktives Minenfeld aus. Ein ausgelegter Fallschirm, auf dem Minenattrappen, Schuhe und Krücken liegen, ist von brennenden Kerzen umsäumt. Holzkreuze tragen die Namen afrikanischer Kinder und ihre Lebensdaten. Neben dem beklemmenden Szenario liegt ein grüner Teppich mit Primeln und Schmetterlingen, „als Zeichen der Hoffnung“, so Unicef-Mitarbeiterin Traude Unruh. Auch Christa Müller, die Frau des saarländischen Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine ist gekommen.

„Mit dem Aktionstag ist unser Kampf für ein Verbot von Landminen nicht beendet“, versichert Regina Schneider, Pressesprecherin von medico international. Auf einer Rundreise durch 25 deutsche Städte wirbt die Organisation mit einer Prothesenstatue um Unterstützung. Die braune Figur mit vier Beinen und Armen, die sich auf und ab bewegen, stammt von dem spanische Künstlertrio Aixala-Antunez-Olbeter. Sie symbolisiert den künstlichen Ersatz für die verstümmelten „Weichziele“, wie die Körperteile des Menschen in der Militärsprache heißen.

Nur das Verbot von Landminen kann als Erfolg gelten, sagt die medico-Sprecherin Schneider. Für den SPD-Bundestagsabgeordneten Volker Kröning ist das aber Illusion. „Auch bei chemischen und atomaren Waffen mußten wir kleine Schritte machen“, argumentiert das Mitglied des Unterausschusses für Abrüstung und Militärkontrolle.

Ein flaues Gefühl hinterläßt bei den Veranstaltern das Ende der Aktion in Berlin. Händler von der rechten Seite des Pariser Platzes, die sonst sowjetische Devotionalien und alte DDR-Orden verkaufen, stürmen den Berg auf der Suche nach passenden Schuhen. Aber auch für Touristen aus Würzburg, Köln, Niederösterreich oder Halle gibt es kein Halten. Ein gutgekleidete Münchnerin trägt schon ein paar blaue Stoffschuhe unter dem Arm. Ob sie wisse, wofür der Berg stehe, fragt einer der Organisatoren. „Ja, aber hier gibt es noch Menschen die zwei Beine haben.“